Geschichte von Sinti:zze und Rom:nja in Berlin

Wie eng die Geschichte Berlins mit der Geschichte von Sinti:zze und Rom:nja verknüpft ist, ist im öffentlichen Raum Berlins kaum zu erkennen. Schon seit dem 15 Jahrhundert, lange bevor Berlin Residenzstadt wurde, siedelten in den “deutschen Landen” Sinti:zze. Einige Jahrhunderte später, um 1900, zogen Rom:nja in die zu dem Zeitpunkt rasant anwachsende Reichshauptstadt. Dennoch sind wenige Straßen oder Plätze bekannt, die den Angehörigen der Minderheit gewidmet sind, oder Spuren, die auf die Geschichte von Sinti:zze und Rom:nja in Berlin sowie auf die Geschichte ihrer Verfolgung verweisen. 

Restriktive Politik von der Kaiserzeit bis zur Weimarer Republik

Anhand dieser geografischen Marker lässt sich zum Einen die Geschichte von Sinti:zze und Rom:nja und zum Anderen die Geschichte des Antiziganismus erzählen. Frühe Impulse setzte beispielsweise der Schweizer Schriftsteller und Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi, der in seinen Schul- und Erziehungsbüchern antisemitisches und antiziganistisches Gedankengut verbreitete. Seine Lehren waren in Preußen enorm erfolgreich und in Berlin wurden ihm gleich fünf Straßen und ein Platz gewidmet.

Die “Zigeunerpolitik“ des Deutschen Kaiserreichs wurde ab der Reichsgründung 1870/71 zunehmend restriktiver und systematischer. 1899 wurde beispielsweise in München der “Nachrichtendienst für die Sicherheitspolizei in Bezug auf Zigeuner“, der kurz “Zigeunerzentrale“ genannt wurde, gegründet. 1911 folgte die “Zigeunerkonferenz“ auf der sich Delegierte der Regierungen von Bayern, Preußen, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen und Elsaß-Lothringen trafen und die Restriktionen gegen Angehörige der Minderheit besprachen. Während des Ersten Weltkriegs entstanden dann auch erste konkrete Überlegungen über Internierungslager.

Während der Weimarer Republik wurden Sinti:zze und Rom:nja, trotz der in der Verfassung garantierten Gleichberechtigung und Berufsfreiheit, weiterhin diskriminiert. Ein preußischer Erlass von 1927 führte zur Registrierung und zur Einführung spezieller Ausweise für Sinti:zze und Rom:nja. Diese Ausweise trugen Fingerabdrücke und Fotografien. Insgesamt 8.000 Sinti:zze und Rom:nja ab dem Alter von sechs Jahren wurden so registriert. In den letzten Jahren der Weimarer Republik wurden willkürliche Verhaftungen und vorbeugende Inhaftierungen von Sinti:zze und Rom:nja zur Routine.

Verfolgung von Sinti:zze und Rom:nja im Nationalsozialismus

Schriftsteller wie Heinrich Sohnrey, dem in Berlin eine Straße gewidmet ist, führten ihr antiziganistisches und antisemitisches Weltbild im Sinne der nationalsozialistischen “Blut und Boden”-Ideologie aus. Die Verfolgung von Sinti:zze und Rom:nja im Nationalsozialismus, die mit den Nürnberger Gesetzen von 1935 auch rechtlich eingeleitet wurde, ist bereits an anderer Stelle fundiert aufgearbeitet worden.

Die verschiedenen Stadien und Überschneidungen der Verfolgung, angefangen von der Erfassung der Z*Mission über die Internierung zahlreicher Sinti:zze und Rom:nja im Zwangslager Marzahn im Zuge von Olympia 36, sind im Stadtraum kaum sichtbar.

Die Geschichte der Zwangsarbeit wird durch das Zwangsarbeiterlager Marzahn als Sammelstelle für internierte Sinti:zze und Rom:nja sowie durch Einzelpersonen oder Familien, die noch immer im Stadtraum geehrt werden, präsentiert. Im Stadtteil Moabit erinnert die Kruppstraße an den Unternehmer Friedrich Krupp, der 1811 das Stahlunternehmen gründete. Die Geschichte der Familie Krupp ist im öffentlichen Bewusstsein stark mit der Zeit des Nationalsozialismus verbunden, in der der Konzern mindestens 100.000 Zwangsarbeiter:innen ausbeutete, darunter auch Sinti:zze und Rom:nja.

Eine weitere Dimension der Verfolgung ist die sogenannte “rassenhygienische Arbeit”. In der Rassenhygienischen Forschungsstelle (RHF) wurden Sinti:zze und Rom:nja gewaltvoll anthropologisch “erfasst” und konstruierte “Rassenunterschiede” vermeintlich wissenschaftlich erwiesen.

Genehmigt wurden diese Forschungsvorhaben unter anderem von Ferdinand Sauerbruch, den ein Weg auf dem Charité Campus in Mitte sowie eine Straße in Wannsee ehrt. Die Daten aus den “Untersuchungen” des RHF wurden auch vom Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in der Ihnestraße in Dahlem genutzt, wo die Rassenideologie des Nationalsozialismus weiter bestärkt und Untersuchungen an Körperteilen von ermordeten Sinti:zze und Rom:nja durchgeführt wurden. Eine 1988 angebrachte Plakette neben der Eingangstür sowie ein am 15. Oktober 2024 eröffneter Gedenkort erinnert an die Verbrechen, die dort begangen wurden. An die Verbrechen der Rassenhygienischen Forschungsstelle erinnert eine Stele vor dem ehemaligen Standort in Dahlem. Beide Orte sind dennoch kaum als Orte der Verfolgung im öffentlichen Bewusstsein verankert.

Wo wird erinnert?

Mit dem gesellschaftlichen Anspruch auf Gleichberechtigung und Demokratie müsste auch eine Demokratisierung des öffentlichen Raumes einhergehen. Dennoch ehren zahlreiche Orte unkommentiert Personen, die sich der Entstehung einer antiziganistischen Ideologie schuldig gemacht beziehungsweise aktiv an der Verfolgung mitgewirkt haben. Der Ede-und-Unku-Weg, der 2010 in Berlin-Friedrichshain nach dem bekannten Buch der Autorin Alex Wedding benannt wurde, ist ein einsames Positivbeispiel. Auf dem Gelände des ehemaligen Zwangslagers Marzahn konnten Überlebende eine Gedenkstätte errichten.

Dort erzählen aufgestellte Stelen die Biografien einiger Lager-Inhaftierten nach. Die Straße zur und der Platz vor der Gedenkstätte sind zudem dem ehemals dort internierten Otto Rosenberg gewidmet. Dass die stetige Erinnerung und Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen unabdingbar sind, zeigt der Umgang mit dem Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma im Berliner Tierpark. Nach jahrzehntelangen Kämpfen konnte das Denkmal 2012 eingeweiht werden. 2020, nur 75 Jahre nach dem Ende des NS-Regimes, ist das Denkmal erneut durch den Bau einer S-Bahn-Trasse bedroht.

Zur Aufarbeitung und Aufklärung gehört auch eine veränderte Gedenkkultur. Mit unserem Projekt haben wir einen Versuch gestartet, die Bestehende kritisch zu kommentieren.