Nationalsozialistische Inszenierung auf dem Olympiagelände

Der Olympiapark rund um das Olympiastadion ist auch heute noch eine Zurschaustellung nationalsozialistischer Erinnerungskultur. Erbaut für die Olympischen Spiele 1936 wurden hier auf architektonischer, künstlerischer und durch Straßennamen Erinnerungsmarker für die nationalsozialistische Ideologie verfestigt.

Historischer Überblick über die Entstehung des Geländes

1913 wurde das Deutsche Stadion auf dem Gelände einer vier Jahre früher eröffneten Rennbahn im Grunewald, unter der Leitung des Architekten Otto March (1845-1913) erbaut. Es war das damals größte Stadion der Welt und wurde für die geplanten VI. Olympischen Spiele in Berlin 1916 gebaut. Somit inszenierte es auch das nationale Selbstbewusstsein des Kaiserreichs. Aufgrund des Ersten Weltkriegs fanden die Olympischen Spiele 1916 nicht statt und das Stadion und die Rennbahn wurden in dieser Zeit als Lazarett genutzt.

In der Weimarer Republik wurde das Gelände der Galopprennbahn erweitert und zu einem modernen Sportzentrum umgebaut, das auch die Deutsche Hochschule für Leibesübungen beherbergte. Zudem wurde es auch  für politische und militärische Veranstaltungen genutzt, wie z. B. für den 80. Geburtstag des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg (1847-1934) am 2. Oktober 1927 und die Wahlkampfkundgebung von Adolf Hitler (1889-1945) am 27. Juni 1932.

Der Olympiapark war somit bereits in der Weimarer Republik ein Ort für nationale Selbstidentifikation. Die Sportfunktionäre der Weimarer Republik, insbesondere Carl Diem (1882-1962) und Theodor Lewald (1860-1947), setzten sich Ende der 1920er-Jahre für eine Neuvergabe der Olympischen Spiele nach Berlin ein. Im Mai 1930 wurde die offizielle Bewerbung für die Olympischen Spiele 1936 beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) eingereicht, das ein Jahr später die Vergabe an Berlin bekannt gab.

Gelegene Propaganda

Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme im Jahr 1933 stand das diktatorische Regime den Olympischen Spielen zunächst kritisch gegenüber, da deutsche Sportler gegen Athleten aus “Rassen” oder “Feindvölkern” antreten mussten, die die nationalsozialistische Ideologie als minderwertig ansah. Das Propagandapotenzial der Spiele nach innen und außen wurde von der NSDAP jedoch schnell erkannt und für verschiedene Zwecke ausgenutzt: Zum einen dienten sie der Verbesserung der diplomatischen Beziehungen und der internationalen Inszenierung der eigenen Überlegenheit durch den Sport. Andererseits konnte so auch bei der Bevölkerung Zustimmung für das Regime erreicht werden. Dies führte zu einer generellen Stabilisierung und Legitimierung des Systems.

Die nationalsozialistische Regierung unterstützte die Planung der Olympischen Spiele 1936 personell und finanziell und ebenso die Bauarbeiten am heutigen Olympiapark. Das Deutsche Stadion sollte für die Olympischen Spiele unter der Leitung des Architekten Werner March (1894-1976), dem Sohn von Otto March, erweitert und modernisiert werden. Nach einer Intervention der nationalsozialistischen Führung wurde das Deutsche Stadion jedoch abgerissen und das Olympiastadion und andere Sportstätten an gleicher Stelle neu errichtet. Der Neubau wurde auch als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für “arische” Arbeiter genutzt, um die hohe Arbeitslosigkeit zu senken – ein Wahlversprechen der NSDAP.

Das Ideal eines deutschen Volkskörpers

Der Olympiapark kann als ein architektonisches Gesamtkunstwerk zur Vermittlung nationalsozialistischer Ideale gesehen werden. Architektur, Skulpturen und selbst die Landschaft sollten die Überlegenheit der eigenen “Rasse” zur Schau stellen. So schreibt der Antisemitismusbeauftragte des Landes Berlin, Samuel Salzborn (*1977), in dem von ihm herausgegebenen Sammelband Monumentaler Antisemitismus – Der Berliner Olympiapark in der Diskussion:

“Die Monumentalität ist erdrückend und lässt sich schwer bestreiten: Wer das Berliner Olympiagelände auch nur einmal flüchtig und im Vorbeigehen besucht, stolpert unweigerlich über den Nationalsozialismus […] all jenes verweist in Aus- und Zurichtung auf ein im völkischen Kollektiv niedergedrücktes Individuum, auf Kälte und Verachtung des sich selbst inszenierenden NS-Regimes.”

Auf dem gesamten Areal wurden von einer Kommission ausgewählte Skulpturen aufgestellt. Viele Künstler, wie zum Beispiel Arno Breker (1900-1991), standen auf der sogenannten “Gottbegnadetenliste”, einem Verzeichnis von Künstlern im “nationalsozialistischen Stil”, die beispielsweise somit vom Kriegsdienst geschützt wurden.

Die meisten Statuen auf dem Gelände sind nackt und stehen aufrecht. Uniformiert in ihrer Nacktheit verkörpern sie das Ideal des “schönen neuen Menschen”. Die Körperbilder sollen vermitteln, welche Körper erwünscht und gefördert wurden. Und eben auch, welche Körper unerwünscht waren. Anhand dieser Linien wurden Ausgrenzung und Vernichtung gerechtfertigt.

Der nationalsozialistische Opferkult auf dem Gelände

Auf dem Olympiagelände wurde auch der nationalsozialistischer Opferkult inszeniert. Beispielhaft dafür ist die Langemarckhalle in der Maifeldtribüne am südlichen Ende des Reichssportfeldes, die an den Langemarck-Mythos erinnern soll. Die Erzählung des Langemarck-Mythos bezieht sich auf die Schlacht bei Langemarck während des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914 und dreht sich um die Vorstellung, dass eine Gruppe junger, idealistischer deutscher Soldaten, größtenteils Studenten oder Hochschulabsolventen, unter dem Gesang patriotischer Lieder in die Schlacht zogen und dort starben. Es wird suggeriert, dass diese Soldaten sich bereitwillig für ihr Land geopfert haben. Diese Erzählung wurde stark propagiert, um die Moral zu stärken und ein Gefühl des Nationalstolzes zu fördern. Die historische Forschung hat jedoch Zweifel an der Richtigkeit dieses Mythos. Zwar waren tatsächlich junge Soldaten in die Schlacht involviert, doch es ist zweifelhaft, ob diese eine einheitliche-nationale Begeisterung teilten. Mit der Verknüpfung solcher kriegerischen und nationalistischen Erzählungen mit dem Sportgedanken wird dieser als eine körperliche und mentale Vorbereitung auf einen möglichen Krieg dargestellt.

Diese Verknüpfung zeigt sich nicht nur in dem Gedenken an den Ersten Weltkrieg. Die Studierenden der Deutschen Hochschule für Leibesübungen, angesiedelt auf dem Olympiapark, stürmten am 6. Mai 1933 das Berliner Institut für Sexualwissenschaft. Die Bücher aus der dabei geplünderten Bibliothek wurden bei den Bücherverbrennungen vom 6. Mai bis zum 10. Mai 1933 vernichtet. Das von Magnus Hirschfeld (1968-1935) geleitete Institut forschte zu verschiedenen Themen der Sexualität, u.a. Geschlechtskrankheiten, Partnerschaftsproblemen, Abtreibung und Homosexualität. Aufgrund dieses progressiven Forschungsprogramms, sowie auch Hirschfelds jüdische und homosexuelle Identität geriet das Institut schon schnell nach der Machtübernahme ins Visier der Nationalsozialisten.

Des Weiteren hielt Carl Diem (1882-1962) im März 1945 eine Rede auf dem Olympiagelände vor einem Regiment der Hitlerjugend in der er zum “Volkssturm” aufrief, vor einem Regiment der Hitlerjugend. Dies verdeutlicht noch einmal die ideologische Verknüpfung von Sport (-Funktionären) mit nationalistischen und kriegerischen Idealen.

Verfolgung im Zuge von Olympia 36

Das rassistische Ideal des einheitlichen “”Volkskörpers” findet sich jedoch nicht nur in der künstlerischen und architektonischen Ausgestaltung des Geländes repräsentiert, sondern auch in der Verfolgungspolitik kurz vor den Olympischen Spielen: 1936, in Vorbereitung auf die Olympischen Spiele, wurde eines der ersten Zwangslager für Sinti:zze und Rom:nja in Berlin-Marzahn geschaffen. Am 16. Juli 1936 wurden dann ca. 600 Sinti:zze und Rom:nja von ihren angemieteten Standplätzen und aus ihren Wohnungen nach Marzahn deportiert. Dies geht auf den Runderlass “Zur Bekämpfung der Zigeunerplage” vom 6. Juni 1936 zurück, der den Polizeipräsidenten ermächtigte, einen Landesfahndungstag durchzuführen. Berlin sollte vor und für die Olympischen Spiele “zigeunerfrei” sein. Zudem wurde im Sommer 1936 das Konzentrationslager Sachsenhausen fertiggestellt. Die Nürnberger Gesetze galten bereits seit 1935. Jüdische Sportler:innen wurden bereits vor den Spielen aus Vereinen ausgeschlossen. Die Leichtathletin Lilli Henoch (1899-1942), die mehrere Weltrekorde hielt, wurde im Januar 1933 noch die Vorsitzende der Damenabteilung des Berliner Sportclubs (BSC), musste jedoch bereits im August 1933 aus dem Verein austreten aufgrund ihrer jüdischen Identität. Sie blieb in Berlin als Turnlehrerin an einer jüdischen Schule und wurde 1942 nach Riga deportiert, wo sie kurz darauf erschossen wurde. Auch die Biografie der jüdischen Sportlerin Gretel Bergmann (1914-2017) verdeutlicht die spezifisch antisemitische Verfolgung im Sport: Obwohl die Hochspringerin im Sommer 1936 bei den Württembergischen Meisterschaften noch einen deutschen Rekord sprang, teilte der “Reichssportführer” Hans von Tschammer und Osten (1887-1943) ihr schriftlich mit, dass sie nicht für die Olympiaauswahl berücksichtigt würde, da ihre Leistung nicht ausreiche. Ein dritter Startplatz im Hochsprung blieb unbesetzt.

Straßennamen im Olympiapark

Eine weitere Institutionalisierung und Materialisierung von Erinnerung im Olympiapark sind die Straßennamen. Die Straßennamen im und um den Olympiapark wurden meist vom NSDAP-Regime vergeben und vermitteln ebenfalls ihre Ideologie. Eine Übersicht darüber findet sich auf unserer Karte.

Nutzung nach 1945

Nach Kriegsende wurde das Reichssportfeld kurzzeitig von der Roten Armee genutzt, bevor es im Juli 1945 von den britischen Alliierten besetzt wurde, die 1947 alle militärischen Einrichtungen sprengten, die während des Krieges, als die deutsche Armee auf dem Gelände stationiert war, errichtet worden waren. Zu den Veränderungen, die unmittelbar nach Kriegsende vorgenommen wurden, gehörte die Entfernung der nationalsozialistischen Embleme, insbesondere der Hakenkreuze.

Das Sportforum wurde bis zum Abzug der britischen Alliierten1994 von diesen als Hauptquartier genutzt. Das Olympiastadion, die Langemarckhalle, die Freilufttribüne und das Schwimmstadion wurden 1949 nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland (BRD) an West-Berlin zurückgegeben. Der Architekt Werner March (1894-1976), der das Gelände bereits für die Olympischen Spiele 1936 gebaut hatte, wurde in den 1950er-Jahren mit der Renovierung des Olympiageländes beauftragt, was wohl auch dem Interesse einiger Politiker an einer möglichst großen Nähe zum Original geschuldet war. Carl Diem und Werner March waren in der Zeit des Wiederaufbaus maßgeblich beteiligt, sodass der Wiederaufbau nicht von einer politischen und historischen Reflexion begleitet wurde. Hinzu kommt, dass die Anlage 1966 unter Denkmalschutz gestellt wurde, was grundlegende Veränderungen der Anlage bis heute verhindert.

Ab 1950 diente das Olympiastadion als Austragungsort für eine Vielzahl von Großveranstaltungen, insbesondere Sportveranstaltungen: In den Jahren 1946 und 1947 veranstaltete der Sportrat der Alliierten Streitkräfte hier eine Leichtathletikmeisterschaft. 1974 und 2006 fanden hier die Fußball-Weltmeisterschaften der Männer und wiederkehrend Spiele von Hertha BSC statt. In diesem Sommer, 2024, fand dort die Fußball-Europameisterschaft der Männer statt, es war das erste EM-Finalspiel, das im Olympiastadion ausgetragen wurde. Das Stadion wurde aber auch für evangelische und katholische Kirchentage oder die große Polizeischau genutzt.

Die Freilichtbühne, ehemals “Dietrich-Eckhart-Freilichtbühne” und jetzt “Waldbühne”, wurde ab den 1960er-Jahren wieder für Konzerte genutzt. In den 1990er-Jahren, zur Zeit der Wiedervereinigung, bewarb sich Berlin um die Vergabe der Olympischen Spiele 2000. Dies führte zu Forderungen in der Zivilgesellschaft und Fachöffentlichkeit nach einer stärkeren historischen Kontextualisierung des Ortes sowie auch zu großen Gegenprotesten. Nachdem die Austragung der Olympischen Spiele 2000 an Sydney vergeben wurde – Berlins Bewerbung also gescheitert war, verflachte das Interesse.

Erst mit der Fußball-Weltmeisterschaft 2006, die in Deutschland und Berlin stattfand, wurde das Interesse an der Kontextualisierung wieder geweckt. Das Olympiastadion wurde in Vorbereitung auf die WM modernisiert und renoviert, und die Forderungen nach einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Ort wurden verstärkt. In diesem Zusammenhang wurden 45 Gedenktafeln geschaffen, organisiert vom Berliner Forum für Geschichte und Gegenwart e.V., und angebracht, die sich noch heute vor Ort befinden. Jedoch werden diese häufig übersehen und nicht beworben. Das allgemeine Interesse der Bevölkerung an historischer und politischer Bildung auf dem Gelände hat nach der Fußball-Weltmeisterschaft deutlich nachgelassen.

Kontextualisierung des Geländes 

Die nationalsozialistische Inszenierung ist bis heute ungebrochen auf dem Gelände. Zwar materialisiert sich auf dem Gelände der Machtwechsel, wie man an “leeren” Adler-Emblemen sehen kann, an denen früher Hakenkreuze hingen. Zudem sind auch kleinere Plaketten, die von der Zeit der Britischen Alliierten auf dem Gelände übergeblieben sind, zu finden. Die 45 Gedenktafeln auf dem Gelände sind wenig beachtet und gehen in der Monumentalität des Geländes beinahe gänzlich unter. Eine Reinszenierung können sie nicht leisten. Die weiterführende Nutzung des Geländes – hauptsächlich für Vereinssportalltag und (Sport-) Großveranstaltung – steht in einer Kontinuität zu der von den Nationalsozialisten vorhergesehenen Nutzung des Geländes. Eine besondere Herausforderung einer Nutzung des Geländes als Erinnerungsort stellt sicherlich auch der Denkmalschutz dar, der Auch wenn ein Leerstand aus Nachhaltigkeitsaspekten nicht wünschenswert ist, so fehlt es heute doch an Bewusstsein über die Gewaltgeschichte des Sports und des Geländes, gerade durch den überschreibenden Aspekt der heutigen Nutzung. Die gesamte Kontextualisierung bedarf auch eines größeren Umdenkens der Funktion von Sport im Nationalsozialismus. Nur so kann man die Bedeutung des Geländes verstehen – und auch seine Kontinuitäten.

Unsere Empfehlung

Die nationalsozialistische Inszenierung bleibt auf dem Gelände bis heute ungebrochen. Zwar wurden Hakenkreuze und nationalsozialistische Embleme entfernt, die NS-Ideologie zeigt sich jedoch weiterhin in der topografischen und architektonischen Monumentalität des Geländes sowie auch in den Straßennamen und in der künstlerischen Gestaltung des Geländes, insbesondere dem Skulpturenpark. Das Gelände bedarf einer kritischen Aufarbeitung, verknüpft mit einer Aufarbeitung der Verknüpfung von Sport  und Sportfunktionären wie Carl Diem. Die nationalsozialistischen Straßennamen sollten umbenannt werden.