Zwangslager Marzahn

Marzahn

An dieser Stelle befand sich von 1936 bis 1945 ein Zwangslager in dem Sinti:zze und Roma:nja interniert wurden. Das Lager zählte 850 bis 1.200 Inhaftierte und war damit das größte Zwangslager für Sinti:zze und Rom:nja während der Zeit des Nationalsozialismus. Offiziell trug das Lager den Namen “Zigeuner Rastplatz Marzahn”, was die eigentliche Funktion des Zwangslagers erheblich verschleierte.

Entstehung des Lagers

 

Bereits seit 1934 erarbeiteten die Berliner Behörden und die Gauleitung des “Rassenpolitischen Amtes” der NSDAP Pläne für die Errichtung eines “Zigeunerlagers” in Berlin. Grund dafür war die rassistischeRassismusDer Begriff Rassismus lässt sich als ein Diskriminierungsmuster und Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse beschreiben. In modernen Gesellschaften sind es vor allem kulturelle Merkmale, über die Menschen abgewertet und ausgeschlossen werden. Das hat Auswirkungen auf die Wahrnehmung von Chancen und die Möglichkeiten der gesellschaftlichen Integration der Betroffenen. Auffassung der Nationalsozialisten in die “Höher- und Minderwertigkeit” von “Rassen”. Die Nationalsozialisten zählten Sinti:zze und Rom:nja zu den “artfremden Rassen”, weshalb sie von der Mehrheitsgesellschaft getrennt und durch die Inhaftierung in Lager Kontrolle über sie erlangt werden sollte. Die im Sommer 1936 in Berlin stattfindenden Olympischen Spiele dienten als Anlass, diese Pläne umzusetzen. So wurden am 16. Juli 1936, zwei Wochen vor Beginn der Olympiade, circa 600 Sinti:zze und Rom:nja, bei einer von der Kriminalpolizei durchgeführten Razzia festgenommen. Der am 6. Juni 1936 von Reichsinnenminister Wilhelm Frick (1877-1946) unterzeichnete Runderlass “Zur Bekämpfung der Zigeunerfrage” legitimierte die Verhaftungen auch offiziell.

Errichtung des Lagers

Die Festgenommenen, hauptsächlich deutsche, ungarische, österreichische, tschechische und jugoslawische Sinti:zze und Rom:nja, wurden auf ein Gelände hinter dem Parkfriedhof Marzahn transportiert, wo die Errichtung des Lagers begann.

Die Verhältnisse im Lager waren katastrophal. Wer über keinen Wohnwagen verfügte, musste bis zur Errichtung der Baracken im Jahr 1938 mit Decken im Freien schlafen. Von den anliegenden Rieselfeldern zog ein strenger Fäkalgeruch herüber. Auf dem gesamten Gelände gab es nur zwei Toilettenanlagen und drei Brunnen, deren Wasser aufgrund der anliegenden Rieselfelder nicht trinkbar war. Die unhygienischen Verhältnisse und die Überbelegung mit 130 Wohnwagen und Wellblechhütten führten zu zahlreichen Krankheiten. Zudem waren Lebensmittel- und Kleiderkarten beschränkt. Zwar war das Gelände bis 1939 nicht umzäunt, wurde es von Polizist:innen und mitgeführten Hunden jedoch ständig bewacht. Alle Inhaftierten und Wohnwagen waren registriert. Wer das Gelände für Einkäufe in der Ortschaft Marzahn oder zum Wasserholen verlassen wollte, musste eine lange Wegstrecke zurücklegen. Außerdem wurde eine Genehmigung benötigt und es musste sich bei der Polizeiwache an- und abgemeldet werden. Ab 22 Uhr galt eine Ausgangssperre. Wer sich nicht daran hielt, musste mit Gewalt rechnen. Es gab ständige Drohungen und Schläge. Ein Wärter jagte regelmäßig seinen Wachhund auf die Inhaftierten und fügte den Menschen dadurch starke Körperverletzungen zu. Teilweise wurden diese Strafen beliebig und anlasslos verhängt.

Da den Kindern der Besuch einer staatlichen Schule untersagt war, wurden sie in einer Schulbaracke auf dem Gelände unterrichtet, bis 1941 der Unterricht aufgrund des Einzugs des Lehrers zur Wehrmacht eingestellt wurde. Außerdem gab es konfessionelle Betreuung von der katholischen und evangelischen Kirche. Teilweise halfen diese Organisationen auch mit Lebensmittelspenden, übernahmen die Seelsorge und gaben den Kindern Religionsunterricht.

Zwangsarbeit

Mit der Errichtung der Reichskulturkammer am 22. September 1933 wurde Sinti:zze und Rom:nja gewissermaßen ein Berufsverbot auferlegt und sie mussten, sofern sie älter als 14 Jahre waren, jede Arbeit annehmen. Für die Vermittlung der Arbeit war die “Einsatzstelle für Juden und Zigeuner” des Arbeitsamtes Berlin zuständig. Die Sinti:zze und Rom:nja aus dem Zwangslager Marzahn arbeiteten bei umliegenden Bauern, im Tiefbau oder in Fabriken. Als 1942 Sinti:zze und Rom:nja rechtlich den Jüdinnen und Juden gleichgestellt wurden, gab es keine Sonderzuschläge für Schwerstarbeit mehr. Den Zwangsarbeitenden wurde die Schwerstarbeitskarte entzogen, womit der Anspruch auf Zusatzverpflegung bei gesundheitsgefährdender Arbeit entfiel. Hinzu kam, dass die Kriminalpolizei bei kleineren Verstößen oder Arbeitsversäumnissen mit der Einweisung ins KZ drohte.

“Rassenforschung”

Die im Zwangslager Marzahn lebenden Sinit:izze und Rom:nja wurden von der “Rassenhygienischen und bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle” (RHF) für rassenanthropologische Untersuchungen missbraucht. So untersuchte der Medizinstudent Gerhart Stein an 200 Lagerinhaftierten die Blutgruppen, fotografierte und vermaß die Menschen und erstellte Stammbäume.

Unter Leitung von Dr. Robert Ritter (1901-1951) entstand 1936 eine “Erbwissenschaftliche Forschungsstelle”, die maßgeblich zur nationalsozialistischen Verfolgung der Sinti:zze und Rom:nja beitrug. Mit seinen Schriften stellte er sowohl wissenschaftliche Thesen als auch politische Forderungen vor. Seiner Hauptthese zufolge seien “Zigeunermischlinge” eine Mischung aus “rasseneigenen Zigeunern” mit “Asozialen” und “Minderwertigen” und deshalb nicht nur “rassisch minderwertig”, sondern auch Träger von Asozialität und Kriminalität. Er fordere deshalb die Lagerinternation und Zwangssterilisation dieser Menschen.

Darüber hinaus erfolgte in Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei eine rassenkundliche Begutachtung und Erfassung von circa 35.000 bis 40.000 deutschen und österreichischen Sinti:zze und Rom:nja, durch das RHF. Dabei wurden Aussagen über Abstammungen teilweise durch Androhungen von Gewalt, durch Demütigung oder Folterung erzwungen. Am 8. Dezember 1938 trat ein Erlass von Heinrich Himmler (1900-1945) zur “Bekämpfung der Zigeunerplage” in Kraft, der eine erkennungsdienstliche Erfassung der Sinti:zze und Rom:nja zur Folge hatte. Die von der RHF erstellten Gutachten und dabei vorgenommenen Kategorisierungen in “Vollzigeuner” und “Zigeunermischling” waren maßgeblich für die Entscheidung darüber, ob Sinti:zze und Rom:nja, deportiert wurden.

Deportationen

Das Zwangslager fungierte einerseits als Internierungslager und andererseits als Sammelstelle für Deportationen in die Konzentrationslager. Im Zuge der Aktion “Arbeitsscheu Reich” im Juni 1938 wurden am 16. Juni 1938 Verhaftungen im Zwangslager Marzahn durchgeführt. Die verhafteten Personen kamen über das Polizeipräsidium am Alexanderplatz in das KZ Sachsenhausen. Bei dieser Aktion wurden vor allem Männer festgenommen. Ab 1939 wurden auch Frauen aus dem Zwangslager in das KZ Ravensbrück überführt. Die Kinder wurden im Zwangslager Marzahn zurückgelassen.

Mit dem “Auschwitz-Erlass” vom 16. Dezember 1942 begannen im März 1943 Deportationen von Marzahn in das KZ Auschwitz-Birkenau. Der Transport führte über das Polizeipräsidium am Alexanderplatz, dessen ab 1939 eingeführte “Zigeunerdienststelle” für die Einweisungen zuständig war, zum heutigen Ostbahnhof. Von dort fuhren Personenzüge nach Auschwitz, wo die Inhaftierten in einem separaten “Zigeunerlager” inhaftiert wurden. Anfang August 1943 liquidierten die Nationalsozialist:innen das separate Lager mit 2897 Inhaftierten. Nur sieben von 186 namentlich bekannten Sinti:zze und Rom:nja, die nach Auschwitz gebracht wurden, überlebten.

Befreiung

Etwa 100 Menschen wurden nicht aus dem Zwangslager Marzahn deportiert, da sie bei den Untersuchungen als “reinrassige Zigeuner” klassifiziert wurden. Sie lebten weiterhin im Zwangslager und leisteten Zwangsarbeit. Außerdem gab es eine Gruppe von 14 Sinti:zze, die im September 1944 von Lubin in Polen nach Marzahn ins Lager gebracht wurde, um in Mahlow für die Reichsbahn Zwangsarbeit zu leisten. Während des Krieges verschlechterten sich die Lebensbedingungen der im Lager lebenden Menschen drastisch. Die Versorgung mit Lebensmitteln war rar und es gab keinen Luftschutzkeller auf dem Gelände. 1944 wurde bei einem Luftangriff das Zwangslager bis auf eine Baracke komplett zerstört. Obwohl die sowjetische Armee das Lager Ende April 1945 befreite, mussten einige Sinti:zze und Rom:nja bis Anfang 1949 auf dem Gelände des Zwangslagers weiterleben, da ihnen der Magistrat von Berlin erst dann Wohnungen im Bezirk Lichtenberg zuwies.

Heutiger Umgang

Gedenkstätte Zwangslager Marzahn

In den 1980er-Jahren entwickelte sich ein offizielles Gedenken zum Zwangslager Marzahn. Im September 1986 wurde auf Initiative des evangelischen Pfarrers Bruno Schottstädt (1927-2000), der ab 1982 eine Pfarrstelle in Berlin-Marzahn innehatte, und dem sich für die Rechte der Sinti:zze und Rom:nja einsetzenden Schriftsteller Reimar Gilsenbach (1925-2001), auf dem nahegelegenen Parkfriedhof ein Gedenkstein errichtet. Durch den ehemaligen Insassen Otto Rosenberg (1927-2001) kam 1990 eine weiße Marmortafel hinzu. 1991 wurde eine Bronzetafel aufgestellt. Außerdem gibt es seit 1990 eine jährlich stattfindende Gedenkveranstaltung, die vom Landesverband Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg e.V. und dem Ökumenischen Forum Berlin-Marzahn e.V. ausgerichtet wird. Darüber hinaus wurde 2007 ein Platz sowie eine Straße auf dem Gelände des ehemaligen Zwangslagers nach Otto Rosenberg benannt. Auf dem Platz befinden sich seit 2011 auch zehn Informationstafeln, die über die Geschichte des Lagers berichten und den dort inhaftierten Sinti:zze und Rom:nja gedenken.

Literatur

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