Interview mit David Nikolich
„Es ging wohl darum, das Privileg zu nutzen, in Berlin zu sein“
Der Verein Rroma Informations Centrum e.V. stellt eine Plattform bereit, auf der Rroma-Aktivist:innen die Vielfalt der Rroma-Perspektiven zu Themen wie Politik, Bildung, Kunst und Kultur präsentieren können. Wir haben uns mit ihrem Mitarbeiter David Nikolich, der Stadtrundgänge zur Geschichte von Sinti:zze und Rom:nja in Berlin organisiert, für ein Gespräch getroffen.
Ihr bietet einen historischen Stadtrundgang durch Berlin an, wie sieht diese Tour aus und welche Orte besichtigt ihr?
Unsere Tour gibt es seit 2013, und seit 2021 wird das Projekt durch den Berliner Senat gefördert. Deshalb haben wir das große Privileg, dass wir die Stadtrundgänge kostenlos anbieten können. Die Stationen, die wir besuchen, sind interessante Orte der Erinnerung, des Gedenkens und des Respekts. Dazu gehört natürlich das Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma Europas im Tiergarten. Dann gibt es die Topografie des Terrors, die wir besuchen, auch wenn es da nicht explizit um Antiziganismus geht, weil dort der NS-Staatsapparat und der Völkermord an sowohl den Juden als auch an den Sinti und Roma aufgearbeitet wird.
Und es gibt noch drei Orte, die wirklich explizit für die Rom:nja und Sinti:zze Community von besonderer Bedeutung sind. Das sind einmal in Kreuzberg zwei Gedenktafeln, die dem Sinti Boxer Johann Trollmann gewidmet sind, einem Boxer, der eigentlich einen deutschen Meistertitel hatte. Diesen haben ihm die Nazis immer wieder versucht streitig zu machen, und ihn im Konzentrationslager ermordet. Und dann gibt’s in der Fidicinstraße eine Gedenktafel, und noch eine Station auf dem Rundgang, die auch von besonderer Bedeutung ist, in Marzahn, neben dem Otto Rosenberg Platz.
Was ist das für eine Gedenkstätte?
Das ist an dem Ort, wo 1936 im Kontext der Olympischen Spiele in Berlin ein sogenanntes „Zigeunerlager“ errichtet wurde, wo sämtliche Sinti:zze und Romn:ja in Berlin hingeschickt wurden. Das Ganze ist damals vor der Mainstreamgesellschaft extrem verharmlost worden, es wurden viele Propagandafilme gedreht, wo bewusst antiziganistische Klischees aufgegriffen wurden. Otto Rosenberg hat auch dort gelebt und gehörte zu den 1 % der Leute, die überlebt haben, und nicht wie die meisten in Konzentrationslagern ermordet wurden. Er war eine ganz zentrale Figur in der Geschichte der Erinnerungskultur und der Widerstandsbewegungen Sinti:zze und Rom:nja.
Du hast ja gerade schon gesagt, dass es die Tour seit 2013 gibt. Wie seid ihr auf die Idee mit den Stadtrundgängen gekommen?
Ich selbst war zu diesem Zeitpunkt noch nicht dabei, aber es ging wohl darum, das Privileg zu nutzen, in Berlin zu sein und hier viele Orte zu haben, wo wir vor Ort Leute aufklären können. Und das ist doch immer eine schönere Sache, als Workshops zu geben, die natürlich auch sehr wichtig sind – keine Frage – aber wo du dieses Erleben nicht hast.
In Berlin gibt es ja mehrere Orte, die sich explizit mit dieser Thematik beschäftigen, hier gibt es Monumente, die dafür geschaffen wurden. Ich glaube, ein wichtiger Faktor war auch, dass im Oktober 2012 das Denkmal für die ermordeten Sinti:zze und Rom:nja im Tiergarten eröffnet wurde, und mit der Erschaffung des Denkmals unser Wunsch aufkam, über das Denkmal aufzuklären.
Gibt es Orte im Berliner Stadtraum, wo Antiziganismus besonders sichtbar wird?
Wenn es um Antiziganismus geht, dann zieht sich das eigentlich durch sämtliche Lebensbereiche durch – durch den Bildungssektor und den Wohnungsmarkt. Vorallem bei Migrationsgeschichten spielt Antiziganismus eine große Rolle, wie jetzt im Kontext des Ukraine-Krieges.
Wie äußert sich das?
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sobald jemand kommt, der Roma ist oder halt generell eine etwas dunklere Hautfarbe hat als der Durchschnittsukrainer das es dann schon zu erheblichen Beschwerden kommt, zum Teil die Pässe für über Monate entzogen werden. Insgesamt hören wir oft, dass es in Deutschland einen gewissermaßen indirekten Antiziganismus geben würde. Sprich, man wird vielleicht seltener direkt beleidigt, aber die Leute, die arbeiten, eine Wohnung finden, einen Pass haben wollen, spüren die viele Jahrhunderte lang tradierter fremdenfeindlicher Stigmata und Vorurteile gegen sie.
Was hältst du denn von dem Begriff Antiziganismus, der ja das Z* mit einschließt?
Das ist tatsächlich kompliziert, weil es einerseits gut ist, dass generell über Rassismus gegenüber Sinti:zze und Rom:nja gesprochen wird und irgendwie hat sich dieser Begriff etabliert. Natürlich ist es im zweiten Schritt komisch, dass da „Zigan“ als Wortkern mit drin ist. Mir persönlich – und ich spreche jetzt nicht für den Verein – wäre es lieber, wenn es Rom:nja-Phobie heißen würde. Oder Sinti:zze und Rom:nja Phobie, aber da herrscht unter den Berliner Aktivisten auch kein eindeutiger Konsens. Grundlegend ist Antiziganismus nicht der perfekte Begriff, aber ich würde jetzt niemandem einen Vorwurf machen, den Begriff zu benutzen.
Ich habe davon gehört, dass dem Begriff von manchen auch zugute gehalten wird, diese künstliche Kategorie von Z* mit einzuschließen. Dadurch wird klar, dass mit dem Begriff Antiziganismus ein Vorurteil gemeint ist, was auf einer künstlichen Zusammensetzung von Stereotypen basiert und von vornherein gar keine tatsächliche Gruppe abbildet.
Ja, das klingt auf jeden Fall ganz schlau. Aber wie schon gesagt, also ich finde den Begriff nicht optimal, aber ich sehe es nicht als unser Hauptproblem, wenn er bleibt.
Um noch einmal auf den Stadtraum zurückzukommen, gibt es irgendwelche Orte, wo du sagen würdest, die fehlen in Berlin?
Was ich mir wünschen würde, wären tatsächlich Initiativen und Vereine, die eine Art Schutzraum bieten für Romnja und Roma. Ein Beispiel für solche Orte sind das Rom*nja Power Theaterkollektiv und den Rroma Aether Club, die auch schauspielern. Sowas sollte es mehr geben, zum Beispiel als Sportverein, oder als Jugendzentrum. Es muss ja auch nicht exklusiv für Rom:nja und Sintni:zze sein. Aber es sollte mehr Orte geben, an denen Aktivitäten durchgeführt werden, wo unter der Romnja-Flagge geschaut wird, dass die Leute einen geschützten Raum haben. Das würde ich mir eigentlich wünschen.
2021 wurde der Beirat für Angelegenheiten von Roma und Sinti im Berliner Gesetz verankert und 2023 gab es wohl schon ein erstes Treffen. Was erhoffst du dir von dieser Neugründung? Und gibt es eventuell auch schon erste Ergebnisse, von denen du weißt?
Direkte Resultate, die groß erwähnenswert sind, gibt es nicht. Da sich der Beirat gerade in der Aufbauplanung und Organisierungsphase befindet, die wohl auch an sich gut verläuft, ist das ganz normal. Was ich mir erhoffen würde oder was eigentlich Voraussetzung für einen guten Beirat ist, ist, dass Leute aus der Community, die auch schon eine gewisse Kompetenz im Kontext von praktischer Arbeit mit der Community und der Beratung von einzelnen Personen haben, Entscheidungsträger sind. Und natürlich, dass er auch eine tatsächliche Macht hat, um als wichtiges politisches Instrument für die Community wirken zu können.
Fällt dir da eine ganz konkrete politische Forderung ein, die der Beirat vorschlagen oder durchbringen könnte?
Ja, primär, dass das Bleiberecht für Roma aus Drittländern gefördert und leichter ermöglicht wird. Es ist leider so, dass wenn Familien oder Einzelpersonen herkommen, die nicht aus der EU sind, diese anhand einer Liste sicherer und unsicherer Herkunftsstaaten behandelt werden. Und wenn Menschen zum Beispiel aus dem Kosovo oder aus Moldawien kommt, gilt deren Herkunftsstaat sicher und dann schicken die Behörden diese Menschen wieder zurück. Was oft ignoriert wird, ist, dass nicht alle Menschen in einem Land mit denselben Bedingungen aufwachsen und nicht alle dieselben Möglichkeiten haben. Und, dass es vor allem Rom:nja und Sinti:zze in vielen Ländern besonders schwer haben. Deswegen sollte eine Umstrukturierung dieser Entscheidung nach sicheren Herkunftsländern stattfinden.
Ihr habt letztes Jahr am Welt Roma Kongress teilgenommen. Was hast du oder was habt ihr daraus mitgenommen?
Wir haben vor allem mitgenommen, dass es weltweit global engagierte Menschen aus der Community gibt. Es war sehr schön zu sehen, dass es weltweit Leute gibt, die so dafür brennen, Aktivist zu sein, die sehr engagiert sind und die nicht davor zurückschrecken, dass viele ihrer Wünsche und Forderungen aus der Vergangenheit nicht in Erfüllung gegangen sind. Leute, die nicht irgendwann ermüden und sich mit weniger begnügen, sondern immer noch große Ziele anstreben.
Möchtest du sonst noch etwas loswerden?
Gerne würde ich Menschen zu den historischen Stadtrundgängen einladen. Wenn jemand Lust hat, mit einer Gruppe die Tour zu machen, meldet euch gerne. Man muss sich nicht als Bildungseinrichtung oder Institution anmelden, jede Gruppe ist willkommen. Die Tour ist kostenlos und zeitlich sind wir sehr flexibel. Sonst freuen wir uns jederzeit über Menschen wie dich, über Projekte wie dieses, die sich an uns oder auch andere Organisationen wenden, Fragen stellen, zuhören und Interesse an dem Thema zeigen – das ist immer schön.
Super. Ich danke dir sehr für das Gespräch.
Sehr gerne.