Interview von

Lena Affentranger: Gespräch mit Straßenlärm

Der Text entstand im Rahmen des Projektseminars BB12- TUB Encounters der TU Berlin im Wintersemester 2021/22. Wir haben uns mehrere Monate mit dem Reparations-Begriff des Kurators Kader Attia als auch der Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst auseinandergesetzt. Die Reparatur als Konzept von Kurator Kader Attia, ist ein unendlicher Prozess der sich mit Vergangenheiten und Gegenwart, Unterdrückung und Wiedergutmachung, als auch Regeneration und Wiederaneignung auseinandersetzt.

 Dabei habe ich mich an die Initiative Straßenlärm erinnert, welche eine kritische Erinnerungskultur im Berliner Stadtraum fordert.

Lena Affentranger

Die Berliner Straßen sind laut. Sirenen, viele Menschen und nicht selten dröhnende Bässe. Täglich prallen hier unzählige Gegensätze aufeinander: Arm und Reich, Hipster und Ur-Berliner, Links und Rechts. Die junge, internationale, oft politisch engagierte Bevölkerung steht Orten mit oftmals problematischer Vergangenheit gegenüber- Monumenten der Schattenseite Berlins. Beispiele dafür sind die Bismarckallee, das Olympiastadion oder die M*straße, um nur einige zu nennen.

Die Initiative Straßenlärm, geleitet von jungen Tutorinnen der TU-Berlin, setzt sich mit diesem Thema auseinander. Sie macht auf die tiefe Verankerung von kolonialen, nationalsozialistischen und patriarchalen Manifestationen im Berliner Stadtbild aufmerksam. Das Projekt visualisiert diese Orte auf einer digitalen Karte und verweist auf weitere aktivistische und wissenschaftliche Arbeiten, Publikationen und antidiskriminierende Initiativen in Berlin.

Neben der digitalen Karte bietet Straßenlärm den Leser*innen ihrer Website ein Glossar, rechtliche Informationen über die Änderung von Straßennamen und einen Blog.

Wir sprachen mit Clara Westendorff und Fee Wüstenberg, Autorinnen und Redakteurinnen von Straßenlärm.

Wer seid Ihr und was macht Ihr?

F: Ich bin Studentin an der TU Berlin und gebe als Tutorin das Seminar “Kritische Erinnerungskultur in Berlin”.

C: Ich habe im Bachelor Museumskunde studiert und mache ebenfalls meinen Master an der TU Berlin im Fach Kunstwissenschaft. Zusätzlich arbeite ich als Freie Autorin und habe im September das Projekt Straßenlärm mitgegründet. Seit 2021 gebe ich mit Fee auch das Seminar zu kritischer Erinnerungskultur.

Eure Initiative heißt Straßenlärm, wie kam es zu diesem Namen? 

C: Bei unserem allerersten Treffen mit Antonia Naase und Damaris, die ebenfalls an der TU studiert haben wir gebrainstormed wie wir zeigen können, dass es um Straßennamen geht und dass wir “Lärm machen” also laut auf Missstände in der Berliner Erinnerungskultur aufmerksam machen können. So kamen wir auf den Namen.

F: Wir wussten, dass wir auf die Sichtbarkeit von faschistischen, kolonialen und patriarchalen Straßen im Stadtbild laut aufmerksam machen wollten. Ich hatte die Idee mit dem Begriff “Straßenlärm” weil wir aktivistische Arbeit fördern wollen und sich jemensch schwer dem Lärm in dieser Stadt entziehen kann- und in diesem Kontext soll.

Wann und wo war die Geburtsstunde der Initiative? Wie seid ihr zu diesem Projekt gekommen?

F: Wir haben das Projekt im September 2020 mit anderen Studierenden gestartet und vernetzen uns seitdem mit der “Erinnerungsszene” Berlins. Initiativen, wie Decolonize Berlin e.V. haben uns geholfen Anschluss zu finden und den Arbeitskreis AK Stadtraum zu gründen.

C: Ich hatte mich auf eine Stelle bei einem Projekt zu Hannah Arendt beworben und dafür den “Eichmann Prozess” gelesen. Da wurde ausführlich geschildert, wie die Krupps vom Nationalsozialismus profitiert haben. Kurz später bin ich durch die Kruppstraße in Mitte gelaufen und habe mich furchtbar aufgeregt, dass diese Familie geehrt wird. Ich habe mich informiert und mir ist aufgefallen, dass ein leicht zugängliches Tool in dem problematische Straßen aufgezeigt werden und was Kategorien wie Kolonialismus und Faschismus vereint einfach fehlt. Durch den Austausch mit Freund:innen entstand unsere Idee eine Karte zu dem Thema zu veröffentlichen. Fee, Antonia Naase, Tobias Lehmann, Hendrik Schmidt, Matthias Gegner und ich haben wir dann kurz danach die Initiative gegründet.

Was waren eure größten Erfolge seither?

F: Interesse zu wecken und den kritischen Blick auf die Erinnerungskultur von Kommiliton:innen zu stärken. Und bald Vorstandsmitglied von Straßenlärm als ein eingetragener Verein zu sein!

C: Persönlich war mein größter Erfolg, dass wir tatsächlich zu sechst geschafft haben diese Website zu veröffentlichen.

Wo liegen die Herausforderungen? Auf welche Widerstände stößt ihr? 

F: Ich denke wir brauchen mehr engagierte Menschen, die Lust haben wissenschaftlich mit uns zusammenzuarbeiten und mit für unsere Utopie einzutreten.

C: ich finde es sehr schwierig in einem akademischen Bereich wie der Uni Fuß zu fassen. Ich habe das Gefühl, dass wir weil wir “nur” Masterstudierende sind, oft nicht ernst genommen werden.

Auf eurer Website habt ihr eure Utopie formuliert: „Ein Berlin ohne problematische Ortsbezeichnungen und Namen aus kolonialen und faschistischen Kontexten“. Was wäre nötig um diesen Traum wahr werden zu lassen? Wie realistisch ist das? 

F: Ich denke die wissenschaftliche Aufarbeitung von historischen Kontexten findet seit Jahrzehnten durch Initiativen und Privatpersonen statt, die sich leidenschaftlich dafür einsetzen. Auf dieser gegebenen Grundlage sollte nun die Lokalpolitik aktiv werden und Ressourcen verfügbar machen, die vorhandenen Anträge und Alternativnamen-Listen umzusetzen. Es kann nicht sein, dass es an den überarbeiteten Personal von Bezirksämtern und Bezirksmuseen Berlins hängen bleibt, diese Anträge zu bearbeiten.

C: Ich denke in einer Gegenwart die Schlösser aus der Kolonialzeit wieder aufbaut ist unsere Utopie extrem unrealistisch.

Einen Aspekt, den Kader Attia mit dem Reparations-Begriff formuliert, ist dass die modernistisch westlichen Gesellschaft mit Reparatur versucht gewisse Fehler zu vergessen, sozusagen Momente auszulöschen. Dem gegenüber stellt er die nicht westliche traditionelle Reparaturen, welche Fehler nicht durch Reparatur verstecken, sondern durch Reparatur offengelegt oder präsentiert. Gewisse Wunden oder Vergangenheiten werden also nicht versucht zu Vergessen, sondern anerkannt, oder erinnert. Wie steht ihr dazu? Und was bedeutet für euch eine „gute Erinnerungskultur“?

F: In unserem Projekt geht es nicht um eine Streichung von historischen Personen oder Ereignissen durch Umbenennungen, sondern um eine Perspektivumkehr auf die deutsche Geschichte. Welche Personen sollen eine Ehrung durch ihr Engagement und Mut im Stadtbild erhalten? Es gibt viele Aktivist:innen, die sich  gegen Faschismus, Rassismus, Kolonialismus und Sexismus eingesetzt haben und dessen Namen wir uns ins kollektive Gedächtnis rufen sollten. Die Widerstandskämpferinnen May Ayim und Audre Lorde z.B., die sich gegen Rassismus und für die Sichtbarkeit der afrodeutschen Geschichte und Identität in den 1990er Jahren eingesetzt haben, sind nun Teil des Berliner Stadtbilds und der Gedenkkultur.
Für mich bedeutet eine erfolgreiche Erinnerungsarbeit, dass ich als deutsche Person immer wieder mit den Folgen des Kolonialismus und Faschismus konfrontiert werde, um den aktiven Umgang mit deutscher Geschichte zu üben und die Verflechtungen durch Ebenen wie Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Zwangsarbeit etc. zu sehen. Durch diese Sensibilisierung kann für mich ein Aufarbeiten beginnen.

C: “Gute Erinnerungskultur” bedeutet für mich, dass wir als Gesellschaft darüber nachdenken wem wir gedenken und warum und wem wir gedenken wollen. Und dass diese Entscheidungen eben kein Prozess sind, der nur in der weißen cis-männlichen heteronormativen Bubble stattfindet.

Was können interessierte Personen tun, um euch zu unterstützen? 

F: Uns schreiben! Wir suchen neue Mitglieder, die Lust haben sich als Autor:innen oder Social-Media Beauftragte auszutoben.

C: Außerdem helfen uns auch immer Tipps zu Themen die wir noch nicht auf dem Schirm haben.

Welche anderen Projekte empfehlt Ihr interessierten Personen? Und welche Projekte inspirieren euch?  

F: Mich inspiriert Aktivismus in der Stadt, der in U-Bahnhöfen, an Plätzen, an Wänden laut wird und damit unumgänglich für uns ist, wie Arbeiten von Rocco und seine Brüder, Wo ist unser Denkmal? oder No Humboldt 21!.

Max Schwalbe via Wikimedia CommonsStreit ums Ernst-Thälmann-Denkmal