Streit ums Ernst-Thälmann-Denkmal

Kolossal erhebt sich die massive Porträtbüste vom ehemaligen KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann (1886–1944) mit erhobener Faust vor den Hochhäusern des gleichnamigen Parks. Hinter ihm weht die stilisierte Arbeiterfahne. An den Sockel wurde in großen Buchstaben das Wort “Held” gesprüht. Das wirkt befremdlich und wirft die Frage auf: Wer war Ernst Thälmann nochmal? Dieser Frage muss sich vor allem die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Pankow in den nächsten Wochen stellen. Der CDU-Abgeordnete David Paul reichte am 4. Mai den Antrag ein, den Denkmalschutz des Denkmals aufzuheben und die riesige Bronze einzuschmelzen. Seiner Ansicht nach sei die Bronze ein prorussisches Monument, für einen Demokratiefeind. Der Erlös des Materialwerts solle laut Antrag an das ukrainische Militär gespendet werden.

So absurd David Pauls Anliegen auch sein mag, so hitzig wird die Person Ernst Thälmann diskutiert. Von aktivistischer Seite der Antifa Nordost wird Gegenprotest organisiert. Für die Gruppe sei das Denkmal wichtig um an den antifaschistischen Widerstand und die Befreiung vom Nationalsozialismus zu erinnern. Das Denkmal zu demontieren sei “Geschichtsverdrehung”.

Wer war also Ernst Thälmann?

Der 1886 in Hamburg geborene Politiker schloss sich früh der KPD an und war Vorsitzender der Partei von 1925 bis zu seiner Verhaftung durch die Nationalsozialisten 1933 und Mitglied  im Rotfrontkämpferbund. Er stand Stalin nah und agitierte gegen die SPD. Hierfür schloss sich die KPD sogar ein einziges Mal 1932 beim BVG-Streik mit der NSDAP zusammen. 1933 wurde Thälmann noch vor dem Reichstagsbrand verhaftet und war bis zu seiner Erschießung 1944 im KZ Buchenwald in unterschiedlichen Gefängnissen interniert. Es gab zahlreiche Verhandlungen zu seiner Freilassung, die jedoch alle scheiterte. Und es bleibt die Frage wie es nach einer Freilassung für ihn weitergegangen wäre. Viele seiner Parteigenoss:innen die nach 1933 nach Moskau flohen wurden von Stalin interniert oder umgebracht, so die Historikerin Dr. Annette Leo.

Es ist also festzuhalten, dass Thälmann dem NS zum Opfer fiel und sich ziemlich sicher in den Jahren vor 1933 gegen die NSDAP engagierte – trotz Bahnstreiks.

Aber ist das der Grund für eine 14 Meter hohe und 15 Meter breite Porträtbüste? Der dort dargestellte Ernst Thälmann hat weniger mit der tatsächlichen historischen Person als vielmehr mit dem in der DDR um herum aufgebauten Personenkult zu tun. Thälmann wurde in der DDR als politisches und moralisches Vorbild inszeniert und in der DDR-Kindererziehung eingesetzt.

Ernst Thälmann als Vorbild?

Ob Ernst Thälmann noch als Vorbild gelten kann, damit haben sich Expert:innen auf einer Podiumsdiskussion im Zeiss-Großplanetarium am 2. Mai beschäftigt. Empörte Zwischenrufe zahlreicher Teilnehmer:innen ließen die Veranstaltung schnell in einen Streit über DDR-Geschichte abdriften und Frage ob die DDR ein Unrechtsstaat war oder nicht. In der darauf aufbauenden unwissenschaftlichen Debatte wurde Thälmann von Teilnehmenden und Expert:innen wie dem Historiker Dr. Jens Schöne als “Wegbereiter des Faschismus”, “Verlängerter Arm Stalins in der DDR” und “Demokratiefeind” bezeichnet. Ihm wurde angelastet, dass er sich eine Diktatur gewünscht hätte (die des Proletariats). Das Denkmal sei ein “kultisches Monument”, so der anwesende CDU-Politiker Jens Lenkfeld. Auf die Nachfrage welche historischen Fakten, Dokumente, Nachweise es für Thälmanns Täterschaft geben, die ihn als nicht erinnerungswürdig ausweisen, konnte keine/r der anwesenden Expert:innen antworten.

Es bleibt also ungeklärt inwieweit Thälmann in seinen sieben Jahres als KPD-Vorsitzender als Täter agiert hat. Offensichtlich ist allerdings, dass die seit seinem Tod stattfindende Verklärung seiner Person als Projektionsfläche so monumental aufgeblasen ist wie das Denkmal selbst.

Ach ja, das Denkmal.

Thälmann in der Bluse des Rotfrontkämpferbundes mit erhobener Faust und in die Ferne gerichtetem Blick wirkt wie das Stereotyp einer politischen Skulptur. Hinter ihm weht eine stilisierte Arbeiterfahne. Das Denkmal ist allein wegen seiner Darstellung schon politisch und seit der Wende umstritten. Es wurde 1986 vom sowjetischen Bildhauer Lew Kerbel anlässlich Thälmanns 100. Geburtstag geschaffen. Auf dem Granitsockel findet sich an den Seiten das Wort “Rotfront“, vorne seinen Namen. Der Bezirk ließ zwei zugehörige Stelen mit Zitaten von Honecker und Thälmann 1990 entfernen. 1993 gab es schon Debatten zum Gedenkort, wonach sich für eine künstlerische Kontextualisierung entscheiden wurde, die sich in den roten Steinsitzblöcken auf dem Platz findet. Erst 2014, nach einer weiteren Abriss-Debatte 2013, wurde das Denkmal zusammen mit dem dahinterliegenden Park unter Denkmalschutz gestellt. Vier Jahre später stellte Restaurator Mario Jehle fest, dass die stählerne Innenkonstruktion gerostet – die Bronze also zunehmend instabil ist. Die geschätzten Sanierungskosten werden derzeit auf etwa 150.000 Euro geschätzt. Laut dem Projekt Bildhauerei in Berlin soll ab 2020 soll mit der Sanierung begonnen werden.

Was also tun mit dem Thälmann-Denkmal? Vielleicht, wie in einem Vorschlag einer Künstlerin von 1993, das Denkmal vom (ideologischen) Sockel holen und den Platz als Erinnerungsort der kommunistischen deutschen Geschichte umwidmen und Thälmann als Möglichkeit zum Austausch über Erfahrungen und Ansichten über die DDR-Zeit sehen.