Antiziganistische Straßen, Plätze und Denkmäler im Berliner Stadtraum

Das Projekt

Das Projekt „Antiziganistische Straßen, Plätze und Denkmäler im Berliner Stadtraum“ widmet sich dem Thema Antiziganismus. Dass Sinti:zze und Rom:nja schon lange ein Teil der Berliner Stadtgemeinschaft sind spiegelt die urbane Erinnerungskultur kaum wider. Stattdessen werden die Verfolger:innen und Unterdrücker:innen erinnert und geehrt. Um diese Berliner Stadtgeschichten sichtbarer zu machen, haben wir dieses Projekt ins Leben gerufen.

Unser Projekt ist ein Versuch, die Geschichte des Antiziganismus anhand von Straßennamen, Denkmälern und Orten nachzuvollziehen. Dabei richteten wir unseren Blick auch auf die Täter:innen und konnten ihre Ehrung an verschiedenen Straßen festmachen. Entstanden sind Texte zur Sohnreystraße, zu den verschiedenen Pestalozzistraßen, der Kruppstraße, dem Sauerbruchweg sowie der Sauerbruchstraße und verschiedenen Straßen auf dem Olympiaparkgelände. Die Geschichte der Verfolgung von Sinti:zze und Rom:nja lässt sich auch an teilweise sichtbaren Orten wie dem Zwangsarbeiterlager Marzahn, dem ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Institut in der Ihnestraße, welches heute das Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin ist, der “Rassenhygienischen Forschungsstelle” in Berlin-Dahlem und der ehemaligen Z*Mission der Berliner Stadtmission erkennen. Diese Straßen und Orte haben wir kartiert, um die verunsichtbarte Geschichte im Stadtraum wieder sichtbarer zu machen und Antiziganismus und die damit verbundene Diskriminierung als Problem des Berliner Stadtraums aufzuzeigen.

Zwei weitere Orte finden sich nicht auf unserer Karte, weil sie nicht primär die Geschichte der Täter:innen, sondern der Betroffenen erzählen. Diese widerständigen Orte sind zum einen das momentan bedrohte Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma in Berlin sowie die Ede-und-Unku-Straße in Berlin-Friedrichshain. Beide sind auf unserem Blog zu finden.

Geschichte und Gegenwart von Sinti:zze und Rom:nja

Wie eng die Geschichte Berlins mit der Geschichte von Sinti:zze und Rom:nja verknüpft ist, ist im öffentlichen Raum Berlins kaum zu erkennen. Schon seit dem 15. Jahrhundert, lange bevor Berlin Residenzstadt wurde, siedelten in den „deutschen Landen“ Sinti:zze. Einige Jahrhunderte später, um 1900, zogen Rom:nja in die zu dem Zeitpunkt rasant anwachsende Reichshauptstadt. Dennoch sind wenige Straßen oder Plätze bekannt, die den Angehörigen der Minderheit gewidmet sind, oder die auf die Geschichte von Sinti:zze und Rom:nja in Berlin sowie auf deren Verfolgung verweisen. Die Anerkennung des Porajmos, des Völkermords an den Sinti:zze und Rom:nja, erfolgte erst viele Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg und fand kaum Eingang in eine offizielle Erinnerungskultur. Gedenkstätten und Initiativen arbeiten daran das Unrecht sichtbar zu machen und das Bewusstsein für die anhaltenden Diskriminierungen zu schärfen. Diese Bemühungen sind entscheidend für eine inklusive und gerechtere Gesellschaft. Mit den folgenden kurzen Beiträgen möchten wir Wissenslücken schließen und das Bewusstsein für die Geschichte von Sinti:zze und Rom:nja in Berlin stärken.

Restriktive Politik von der Kaiserzeit bis zur Weimarer Republik

Die Politik gegenüber Sinti:zze und Rom:nja war von Ausgrenzung und staatlicher Diskriminierung geprägt. Seit dem 19. Jahrhundert wurden sie marginalisiert, was sich ab der Reichsgründung 1870/71 im Deutschen Kaiserreich mit der „Zigeunerzentrale“ und weiteren repressiven Maßnahmen verstärkte. Auch in der Weimarer Republik blieb die Diskriminierung trotz formaler Gleichberechtigung in der Verfassung bestehen.

Verfolgung von Sinti:zze und Rom:nja im Nationalsozialismus

Die Verfolgung von Sinti:zze und Rom:nja im Nationalsozialismus begann schon vor den Nürnberger Gesetzen von 1935 und setzte sich durch Zwangsarbeit, pseudowissenschaftliche Forschung und Internierung fort. Orte wie das Zwangslager Marzahn und die Rassenhygienische Forschungsstelle sind heute nur wenig im öffentlichen Bewusstsein verankert.

Wo wird an Sinti:zze und Rom:nja erinnert?

Trotz Gedenkorten wie dem Ede-und-Unku-Weg und der Gedenkstätte des Zwangslagers Marzahn gibt es weiterhin Orte, die unkommentiert Personen ehren, die antiziganistische Ideologie verbreiteten. Die Bedeutung der Aufarbeitung zeigt der jahrzehntelange Kampf um das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti:zze und Rom:nja, das heute erneut durch den Bau einer S-Bahn-Trasse bedroht wird.

Interviews

In unseren Interviews sprechen wir mit zwei wichtigen Stimmen aus Berlin über ihre Arbeit im Bereich Erinnerungskultur und Antidiskriminierung. David Nikolich vom Rroma Informations Centrum e.V. und Paula Rosenheimer von Amaro Drom teilen ihre Ansätze, wie sie durch innovative Projekte vergessene und marginalisierte Geschichten sichtbar machen und junge Menschen ermutigen, sich aktiv mit der Stadt und ihrer Geschichte auseinanderzusetzen.

© Paula Rosenheimer - Amaro Drom

Interview mit Paula Rosenheimer vom Verbund Amaro Drom

Paula Rosenheimer von Amaro Drom arbeitet mit Jugendlichen, um den Berliner Stadtraum aus alternativen, migrantischen Perspektiven zu entdecken. Im Interview spricht sie über das Projekt "Amen tumenca ko Berlin", das junge Menschen zusammenbringt, um Themen wie Antiziganismus, Flucht und Migration auf kreative Weise zu erkunden und eine neue Form der Gemeinschaft zu fördern.
© Verein Rroma Informations Centrum e.V

Interview mit David Nikolich vom Verein Rroma Informations Centrum e.V.

Der Verein Rroma Informations Centrum e.V. stellt eine Plattform bereit, auf der Rroma-Aktivist:innen die Vielfalt der Rroma-Perspektiven zu Themen wie Politik, Bildung, Kunst und Kultur präsentieren können. Wir haben uns mit ihrem Mitarbeiter David Nikolich, der Stadtrundgänge zur Geschichte von Sinti:zze und Rom:nja in Berlin organisiert, für ein Gespräch getroffen.

Lückenhafte Erinnerungskultur in Berlin

Die Erinnerungskultur in Berlin ist kritisch zu betrachten, da viele bedeutende stadtgeschichtliche Ereignisse und Gruppen mangelhaft repräsentiert sind. Trotz jahrzehntelanger Bemühungen, das Gedenken an die Geschichte von Sinti:zze und Rom:nja zu verfestigen, bleiben viele Aspekte unberücksichtigt oder unzureichend gewürdigt.

Behind the Scenes

Wissenschaftliches Arbeiten bildet die Grundlage unseres Projekts, um den Berliner Stadtraum fundiert und nachvollziehbar zu erschließen. Dabei ist ein methodischer und kritischer Umgang mit Quellen entscheidend. Unsere Recherche stützt sich auf ausgewählte Verzeichnisse, darunter die von uns im Rahmen des Arbeitskreises Stadtraum von Decolonize Berlin erstellte „Auswertung von Straßennamen im Hinblick auf eine weiße patriarchalische Erinnerungskultur“ sowie das Straßenverzeichnis Kauperts. Diese Quellen ermöglichten eine systematische Analyse der Straßennamen hinsichtlich ihrer historischen und gesellschaftlichen Bedeutung.

Durch diese Herangehensweise gewährleisten wir inhaltliche Korrektheit und Tiefe, um der Komplexität des Themas gerecht zu werden. Dadurch schaffen wir die Basis für eine fundierte öffentliche Diskussion und fördern eine kritische Erinnerungskultur.

Workshop zu Antiziganismus

Das Bildungsforum gegen Antiziganismus bietet Workshops zu Geschichte, Kultur und Lebensrealitäten von Sinti:zze und Rom:nja an, um Antiziganismus zu erkennen und zu bekämpfen. Ein solcher Workshop vertiefte unser Verständnis der Verfolgungsgeschichte und stärkte die theoretischen Grundlagen unserer Arbeit. Ein besonderer Dank gilt Sevin Begovic für sein geteiltes Wissen!

Recherche und Ausarbeitung

Unsere Arbeitsweise folgte einem dreistufigen Ansatz: Zuerst informierten wir uns zur Geschichte von Sinti:zze und Rom:nja in Berlin, mit Fokus auf das Deutsche Kaiserreich, die Weimarer Republik, den Nationalsozialismus und die Zeit nach 1945. Danach prüften wir Berliner Straßen und Plätze auf antiziganistische Bezüge, basierend auf verschiedenen Verzeichnissen. Abschließend fassten wir unsere Forschung in verständlichen Texten für die Website zusammen, um sie einem breiten Publikum zugänglich zu machen.

Präsentation der Ergebnisse

Am 17. Oktober fand die Abschlusspräsentation im Haus der Statistik statt. Die Veranstaltung enthielt nicht nur die Vorstellung unserer Ergebnisse, sondern auch Inputvorträge von Sevin Begovic vom Bildungsforum gegen Antiziganismus und Paula Rosenheimer von Amaro Drom. Die Moderation übernahm Melina Borčak. Ziel war es, einen zukunftsgerichteten Blick auf modernes, kritisches Gedenken zu eröffnen.

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