Die Z*mission: Leerstellen im stadträumlichen Gedächtnis über das Leben von Sinti:zze und Rom:nja in Berlin

Bei Recherchen zu einem anderen Projekt, welches sich mit dem Afrikanischen Viertel im Wedding befasst, staunte ich nicht schlecht, als ich auf einen Artikel aus dem Gießener Anzeiger aus dem Jahr 1929 stieß, der im Detail von sogenannten „Zigeunerdörfern“ berichtete, die sich im Norden Berlins (Wedding, Reinickendorf, und Weißensee, heute Pankow) befanden. Laut dem Artikel, der zeittypisch vor antiziganistischen Stereotypen, Vorurteilen und Fremdzuschreibungen nur so strotzt, hätten sich an der Afrikanischen Straße und der Kameruner Straße „in den letzten Tagen […] einige hundert Zigeuner mit Sack und Pack niedergelassen“.

Die problematischen Hintergründe rund um die Straßennamen im Afrikanischen Viertel sind hinreichend bekannt. Aber, dass hoch oben im nördlichen Stadtrand, Heimat für Arbeiter:innen, Mittellose und Verdrängte, eben auch Sinti:zze und Rom:nja wohnten, ist zwar naheliegend, aber wesentlich weniger erforscht.

Dass Ziel der „Zigeunermission“ (im Folgenden nur noch „Z*Mission“) der Berliner Stadtmission, war es, den „lieben Heiland“ unter die Berliner Sinti:zze und Rom:nja zu bringen. Auf einem alten Foto aus dem Bundesarchiv ist die Z*Mission abgebildet. Vor einem Haus spielen Kinder auf einer Wippe und einer Schaukel. Über den Fenstern prangt der folgende Spruch: „Die Heiden möchten in seinem Lichte wandeln“.

Und mir stellte sich bei der Betrachtung des Fotos, wie auch schon beim ersten Lesen des Zeitungsartikels, erneut die Frage: Wieso weiß ich nichts von der Missionsarbeit im Norden Berlins? Dementsprechend beschloss ich, mich dieser Leerstelle für dieses Forschungsprojekt zu widmen und tauchte ab in knapp 30 Jahre Geschichte der Z*Mission der Berliner Stadtmission.

Ein kritischer Blick auf die Missionsarbeit mit Sinti:zze und Rom:nja

Die Berliner Stadtmission wurde 1877 von Hof- und Domprediger Adolf Stoecker (1835-1909) gegründet, der dem Verein eine stark antikapitalistische, antisozialistische und antisemitische Ausrichtung gab. In den 1870er-Jahren hatte sich die Berliner Bevölkerung zu Teilen von Glauben und Kirche entfremdet, dem wollte Stoecker entgegenwirken. Die Berliner Stadtmission konzentrierte sich zunächst auf Sonntagsschulen, um über die Kinder auch die Eltern zu erreichen. Durch das immense Wachstum Berlins im Zuge der Industrialisierung während des 19. Jahrhunderts verschlechterten sich die sozialen Bedingungen in der Reichshauptstadt erheblich. Die meisten Menschen lebten unter elenden Bedingungen in riesigen Mietskasernen; staatliche soziale Einrichtungen gab es noch nicht. Schon bald erweiterten sich die Arbeitsbereiche der Berliner Stadtmission. Die Mission setzte sich für die Versorgung von Obdachlosen, Kranken und Arbeitslosen ein und bot vielfältige Hilfsangebote wie Suppenküchen, Kleiderkammern und Seelsorge. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs hatte sich die Berliner Stadtmission fest in der städtischen Wohlfahrtslandschaft etabliert und spielte eine entscheidende Rolle bei der Linderung sozialer Not in der wachsenden Metropole. Teil der Arbeit der Berliner Stadtmission war ab 1910 auch die Missionierung der Sinti:zze und Rom:nja, beginnend mit der Etablierung einer eigenen Z*Mission im Wedding.

Betroffene der Missionsarbeit

Die Fremdzuschreibung durch die Missionar:innen der Sinti:zze und Rom:nja mit dem Z-Wort suggeriert eine Gruppenhomogenität, die es so nicht gab (und gibt). In einigen wenigen Berichten der Missionar:innen lässt sich dennoch etwas über die Sinti:zze und Rom:nja (im Norden) Berlins herausfinden:

„Aus den verschiedensten Landesteilen kommend, leben sie hier bunt zusammengewürfelt. Nicht nur aus Thüringen, der dänischen Grenze oder dem Rheinland, sondern aus Rumänien sogar sind sie hierher verschlagen worden, in das große Berlin.“

(Die Stadtmission 1919, 110)

Die Missionar:innen berichten von unterschiedlichen Gruppen von Sinti:zze und Rom:nja, von denen „drei Zigeunerstämme besonders in Berlin vertreten [sind], die Romungris (Musikzigeuner), die Romanus (Pferdehändler) sowie die Telterarjas (Kesselflicker).“ (Die Stadtmission 1936, 56) Dabei wird auch angemerkt, dass die verschiedenen Gruppen unterschiedliche, wenn auch verwandte Sprachen haben. Die Missionarin Maria Knak beschreibt zwar, dass sich die Menschen, mit denen sie arbeiten, selbst „Zinti oder Sinde“ (Knak 1935, 28) nennen, zieht es dann aber doch vor, weiterhin das Z-Wort zu benutzen. Auch für den vorliegenden Text soll festgehalten werden, dass mit der Beschreibung „Sinti:zze und Rom:nja“ eine Art kohärente Gruppe suggeriert wird, die aber in Realität sehr viel diverser ist. In Deutschland leben zwar hauptsächlich Sinti, jedoch gibt es auch Indizien dafür, dass Roma sich in Berlin zu dieser Zeit aufhielten. Um niemanden pauschal auszuschließen und die Vielfalt der Sinti:zze und Rom:nja in Berlin um die Jahrhundertwende anzuerkennen, wurde stets „Sinti:zze und Rom:nja“ benutzt.

In den ersten zwanzig Jahren der Z*Mission arbeiteten die Missionar:innen vor allem mit den Romanus zusammen im Wedding. Ein Grund für deren Niederlassung im Norden Berlins könnte auch mit dem damals bestehenden Pferdemarkt auf der Seestraße zusammenhängen, der allerdings in den 1920ern dem Bau der Straßenbahn weichen musste. Die Romungris waren unter anderem ansässig in Reinickendorf und Weißensee.

„Das sind nur die Kinder des einen Stammes, die wir im Zigeunerheim beschert haben – und auch längst nicht alle. Unter diesem Stamm arbeiten wir hauptsächlich. Sie vertragen sich nicht gut mit den Zigeunern des anderen Stammes, auch ihre Kinder nicht. […] Unser Stamm nennt den anderen ‚die Romungris‘. Die kleinen Romungris, deren es auch über hundert in Berlin gibt, sind zu Weihnachten recht zu kurz gekommen.“ (Die Stadtmission 1930, 15)

Erst mit der Ankunft von Missionar Kurt Süßkind in den 1930ern verlegt sich der Fokus auf die Arbeit mit den Romungris in Weißensee sowie der mobilen (Heilandswagen) wie immobilen (Sprechstunde in der Zentrale der Stadtmission) Betreuung anderen Gruppen von Sinti:zze und Rom:nja in ganz Berlin. Mit der Schließung dieses Missionszweiges 1940 und der anschließenden Deportation aller Sinti:zze und Rom:nja durch die Nationalsozialisten 1943 kommt die Arbeit der Z*Mission komplett zum Erliegen.

Chronologie der Z*Mission

Die Geschichte der Z*Mission beginnt 1910, als die Lehrerin Maria Knak während ihres privaten Nachhilfeunterrichts, den sie seit 1906 gab, den Bedarf und die Möglichkeit erkannte, eine Mission für Sinti:zze und Rom:nja im Norden Berlins zu gründen: „So sind jetzt viele, viele Zigeuner in unserer großen Stadt seßhaft [sic!] […] Sie wohnen hauptsächlich im äußeren Norden von Berlin, entweder in kleinen Häusern für sich oder in Mietswohnungen und treiben Pferdehandel“ (Blätter 1910, 65-66). Der äußere Norden war, wie bereits beschrieben, vor allem für Arbeiter:innen und ärmere Menschen Heimat.

Türkenstraße 21

Knak bat die Berliner Stadtmission um die Etablierung einer Mission und darum, als Missionarin dort angestellt zu werden. Im selben Jahr wurde eine kleine Einzimmerwohnung mit Küche in der Türkenstraße 21 als Z*Mission angemietet. Dort kamen Kinder nach der Schule zusammen, um Hausaufgaben zu machen, Schreiben und Lesen zu üben und Bibel-Unterricht zu erhalten. Sonntags fand regelmäßig ein Kindergottesdienst statt. Maria Knak verlobte sich allerdings bald darauf und trat aus ihrem Dienst als Missionarin aus. 1911 folgte Frieda Plinzner (1889-1970) als Missionarin.

Müllerstraße 100/101

1912 zog die Mission von der Türkenstraße 21 in das eigens von der Stadtmission errichtete „Zigeunerheim“ in der Müllerstraße 100/101 (im Folgenden „Z*Heim“), welches am 30. Oktober feierlich getauft und eingeweiht wurde. Ein Bericht aus dem Jahr 1929 beschreibt das Heim wie folgt: „Aber nun steht es doch da draußen in der Jungfernheide, im Hintergrund der Wald und die fahlen Sandberge – ein richtiges Missionshaus inmitten einer christlichen Heidenwelt mit einem Kreuz über dem Eingang und Bibelsprüchen an den Wänden“ (Blätter 1912, 95).

Zu dieser Zeit existierte weder der nördliche Teil des Afrikanischen Viertels noch der Volkspark Rehberge, der erst 1929 fertiggestellt und der Öffentlichkeit übergeben wurde. Stattdessen zogen sich weite, meist sandige Feld- und Dünenlandschaften als Teil der Jungfernheide über dieses Gebiet am nördlichen Stadtrand.

Ab 1913 begann die Mission, vermehrt auch erwachsene Sinti:zze und Rom:nja anzusprechen, dafür kam ein gewisser Bruder Dietrich zwei bis drei Mal pro Woche in das Z*Heim. Die prekäre Lebenslage der Sinti:zze und Rom:nja machte sich auch im Missionsdienst bemerkbar, wie aus einem Bericht hervorgeht:

„Nun aber droht unserer Zigeunermission ein plötzliches Ende. Eine der größten Schwierigkeiten im Leben der Zigeuner ist die Wohnungsfrage. Einerseits zwingt man sie zur Seßhaftigkeit, aber man gibt ihnen – aus freilich begreiflichen Gründen – Wohnungen nur da, wo kein Deutscher mehr wohnen will, in irgendeinem zerfallenen, dem Untergang geweihten Hause“ (Blätter 1913, 94).

Zusammen gelang es zwar der Stadtmission und den Sinti:zze und Rom:nja, die gerne in dem Gebiet ansässig werden wollten, Mittel für den Bau von drei Häusern in der Nähe der Mission aufzubringen, dieser konnte jedoch nie realisiert werden. Aus der Festschrift zum 50-jährigen Bestehen der Stadtmission erfahren wir, dass „nicht einmal die Gunst der angegangenen Kaiserin und ihrer freundlichen Hofdamen […] die ehernen Gesetze der Polizei durchbrechen [konnten], die darauf ausgingen, die Zigeuner immer weiter zu treiben, wenn möglich, außer Landes“ (50 Jahre 1926, 85). Im Folgejahr 1914 trat Frau Plinzner von ihrem Amt zurück, um zu heiraten, und wurde von Marie Glas als Missionarin abgelöst. Es wurde erstmals ein gemeinsames Weihnachtsfest in der Mission organisiert.

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914 beeinflusste auch die Arbeit der Mission. 1915 zeigte sich die Auswirkungen des Krieges auf die Missionstätigkeit: Viele Sintos und Rom waren als Soldaten für das deutsche Kaiserreich an der Front; die Jugendlichen und Kinder, die zurückgeblieben waren, zeigten laut der Missionarin Glas eine starke Loyalität zum Kaiserreich. Im August 1915 trat Marie Glas ebenfalls zurück, um zu heiraten, und wurde von Margarete Wackernagel abgelöst.

Die Kriegsjahre waren geprägt von Entbehrungen und Not. Die Angehörigen der Romungris, die für ihre Musik bekannt waren und sich ihren Lebensunterhalt durch Auftritte in Kneipen unterhielten, waren hart getroffen vom anhaltenden Krieg, denn „wer fragt jetzt nach Tanz und Musik?“ (Blätter 1917, 10). Ohne Auftritte verdienten sie kein Geld. Die Jahre des Krieges und die damit verbundenen Unsicherheiten führten dazu, dass viele Sinti:zze und Rom:nja aus Berlin wegzogen. Im Jahr 1919 kehrte Missionarin Wackernagel nach einem Aufenthalt in der Schweiz zur Mission zurück. Doch die bevorstehende Wintersaison brachte Herausforderungen mit sich, da das Z*Heim aufgrund fehlender Kohlen und der teilweise weiten Entfernung für die Sinti:zze und Rom:nja Berlins wohl nicht besucht werden konnte. Die Mission suchte nach alternativen Räumlichkeiten und bat in ihrem Tätigkeitsbericht intensiv um Spenden, um ihre Arbeit fortsetzen zu können.

Die Mission in der Weimarer Republik

In der Nachkriegszeit wurden aufgrund fehlender Mittel berlinweit Heime der Stadtmission geschlossen. Durch großzügige Spenden konnten jedoch im Frühjahr 1920 einige davon, darunter auch das Z*Heim im Norden Berlins, wieder eröffnet werden, welches „zur Zeit von den Zigeunern nicht benutzt wird.“ (Die Stadtmission 1920, 49). Das Z*Heim im Wedding wurde zum „Sonnenland“:

„Eigentlich heißt das Haus ja „Zigeunerheim“. Für unsere Berliner Zigeuner ist es gebaut worden, für viele von ihnen war es durch all die Jahre hindurch ein Stück Heimat. Dies soll es auch bleiben. Aber wie im Frühjahr alle Zigeuner auf Reisen gefahren sind, haben wir flink unser Heim in ‚Sonnenland‘ umgetauft und es den Berliner Kindern geöffnet.“ (Blätter 1920, 52)

Im Sommer des Jahres wurden dort täglich 50 Kinder betreut, verköstigt und über das Christentum unterrichtet. Im Jahr 1921 war die Anwesenheit von Sinti:zze und Rom:nja in Berlin weiterhin gering, da viele „durch die Revolution verstreut“ wurden (Die Stadtmission 1921, 21). Während des Sommers wurde das Heim deshalb erneut als „Sonnenland“ genutzt.

Auch 1922 wird die Missionsarbeit „dadurch etwas lahmgelegt, daß [sic!] die Zigeuner seit Ausbruch der Revolution viel unsteter geworden sind, und sich fast immer auf Reisen befinden.“ (Die Stadtmission 1922, 21) Dies scheint der Zustand für die nächsten drei Jahre zu sein, in denen im Sommer die ehemalige Mission immer als „Sonnenland“ funktioniert. Während des Sommers 1925 wurden dort bis zu 100 Berliner Kinder betreut. Im Winter war dafür wieder die Z*Mission aktiv und veranstaltete auch eine Weihnachtsfeier. Im darauffolgenden Jahr, 1926, verließ Schwester Martha Hahn die Mission und Schwester Paula Albrecht übernahm ihre Position. Während des Sommers erreichte das „Sonnenland“ täglich eine bemerkenswerte Zahl von 250 betreuten Kindern.

Kurz vor Weihnachten 1927 wurde der Heilandswagen der Stadtmission eingeweiht. Er diente als eine Art Erweiterung zum früheren Z*Heim und als weiteres Zentrum für die Z*Mission. Maria Knak schreibt einige Jahre später, dass der Wagen ebenfalls angeschafft wurde, da es mittlerweile zahlreiche verschiedene Z*Lager in Berlin gab und man zusätzlich einen beweglichen Raum für die Missionsarbeit wollte.: „[E]in schöner großer Wohnwagen wurde angeschafft, der meist auf dem Lagerplatz steht, auf dem gerade viele Zigeunerfamilien sind.“ (Knak 1935, 21)

Ab 1927 war mit Jaija Sattler ein ehemaliges Kind der Z*Mission zurückgekehrt. Er hatte inzwischen das Johannesevangelium in Romanes (Lovara-Dialekt) übersetzt, eine beeindruckende linguistische Leistung, und lehrte es fortan im Heilandswagen. Es gab auch in diesem Jahr wieder eine Weihnachtsfeier, diesmal am zweiten Weihnachtsfeiertag. Trotz der weiten Entfernung kamen viele Sinti:zze und Rom:nja Kinder aus ganz Berlin, um gemeinsam zu feiern und Geschenke zu erhalten.

1928 war die Missionsarbeit von Schwierigkeiten geprägt, da die Berliner Sinti:zze und Rom:nja überall vertrieben wurden und die Bemühungen, Sesshaftigkeit zu ermöglichen, bis dahin erfolglos blieben. Eine frühere Missionarin, jetzt Frieda Zeller-Plinzner, kehrte zur Mission zurück. Im Jahr 1929 gab es in Berlin neun Lager-Plätze, an denen Sinti:zze und Rom:nja lebten. Die Stadtmission hatte einen dieser Plätze im Norden gepachtet, wo Sinti:zze und Rom:nja in ihren Wägen oder Hütten zur Miete wohnen konnten; derselbe Platz, an dem auch, zumindest eine Zeit lang, der Heilandswagen stand.

Die wirtschaftliche Situation der Sinti:zze und Rom:nja verschlechterte sich zusehends aufgrund der Weltwirtschaftskrise und des Rückgangs des Pferdemarktes, was zu bitterer Armut bei den Romanus führte, die damit hauptsächlich ihren Lebensunterhalt verdienten. 1931 übernahm Stadtmissionar Kurt Süßkind die Leitung der Z*Mission und begann seine Arbeit in Weißensee. Auf dem Grundstück der Mission gab es zu dieser Zeit etwa 12 Wagen und insgesamt rund 80 Bewohner:innen, im Vergleich zu früheren Zeiten mit etwa 150 Bewohner:innen. Insgesamt gab es damals fünf bis sechs Z*Lager in Groß-Berlin.

Die Existenz dieser Lager wurde dabei explizit als eine Möglichkeit der Missionierung betrachtet: „Auch das ist der Segen der Großstadt, dass in ihr sich so viele Zigeuner sammeln, die sich in einzelnen Lagern um die Stadt herum zusammenfinden, dass sie dadurch eine Missionsmöglichkeit geben, die man sonst vergebens suchen wird“ (Die Stadtmission 1931, 168). Im Herbst des Jahres fand ein großes Fest statt, bei dem der Heilandswagen von den Sinti:zze und Rom:nja zu einer Kapelle umgestaltet wurde. Und zu Weihnachten 1931 konnten etwa 400 von den rund 2.000 Sinti:zze und Rom:nja in Berlin durch Spenden, die die Stadtmission erhalten hatte, mit Kleidern, Schuhen und Spielzeug beschenkt werden.

Missionar Süßkind wurde Anfang der 1930er zum zentralen Ansprechpartner für die Z*Mission und hatte seinen Sitz ab 1933 in der Glasgower Straße 20a im Wedding. Süßkind übernahm in den folgenden Jahren zunehmend auch die Rolle eines Rechtsbeistands für die Sinti:zze und Rom:nja Berlins und half bei verschiedenen behördlichen Angelegenheiten wie der Beschaffung von Geburtsurkunden und Arbeitserlaubnissen, einschließlich der Unterstützung bei der Kommunikation mit Behörden in ganz Deutschland. In der Stadtmissionszentrale gab es mittwochs eine Sprechstunde, in der Sinti:zze und Rom:nja aus Berlin Rat und Hilfe in verschiedenen Angelegenheiten suchten.

Die Missionsarbeit im NS

1934 gab es erneut Berichte über große Armut bei den Kindern der Sinti:zze und Rom:nja, die durch die Spenden der Stadtmission nur schwerlich gestillt werden konnten. Die Weihnachtsfeiern wurden 1934 in der Zentrale der Stadtmission und in den Z*Lagern im Norden Berlins abgehalten. 1935 berichtet Süßkind von mehreren Z*Lagern in Berlin, die von der Stadtmission betreut werden. Die Weihnachtsfeier fand in diesem Jahr in Weißensee statt.

1936 wurde der Heilandswagen von seinem Standort beim Mädchenheim Sichar der Berliner Stadtmission nach Weißensee verlegt, wo er auch im Winter bei den Romungris stand. Das Z*Heim wurde zumindest noch bis April 1936 aktiv von der Mission genutzt. Im August 1936 fanden die Olympischen Spiele in Berlin statt, zu deren Anlass die Nationalsozialisten, beziehungsweise die hauptstädtische Polizei etwa 600 Berliner Sinti:zze und Rom:nja im Stadtgebiet zusammengetrieben, die sonst rund um den Alexanderplatz, im Scheunenviertel, Wedding und Prenzlauer Berg ansässig waren. Sie wurden aus ihren Mietwohnungen, von legal gepachteten Grundstücken oder Lagerplätzen geholt und in das Zwangslager nach Marzahn abgeführt.

Die Missionar:innen waren im Zwangslager wahrscheinlich bis spätestens 1938/39 sowohl seelsorgerisch als auch karitativ tätig. Im Jahr 1936 verweigerte Süßkind die Unterstützung für Gerhart Steins rassenbiologische Untersuchungen an den internierten Sinti:zze und Rom:nja. Darüber hinaus lässt sich vermuten, dass das Gebiet, auf dem das Z*Heim sich befand (Müllerstraße 100/101) sowieso nicht mehr länger hätte genutzt werden können, da ab 1937 das Gelände für die neu entstandene Damarastraße, Mohasistraße, Usamabrastraße und Petersallee (heute Anna-Mungunda-Allee) sowie deren Bebauung mit Wohnhäusern gebraucht wurde.

Im Jahr 1937 wurde das 25-jährige Jubiläum der Z*Mission gefeiert. Auch der Heilandswagen existiert zu dieser Zeit noch und befand sich weiter in Weißensee. 1938 wird in den Blättern der Stadtmission nur noch erwähnt, dass Stadtmissionar Süßkind als Ansprechpartner der Z*Mission nun in Berlin-Biesdorf ansässig ist. Ab 1940 wurde die Arbeit der Z*Mission offiziell von der Stadtmission eingestellt.

Implizierte Subjekte und komplizierte Kompliz:innenschaften

Im Februar 1943 wurden viele Sinti:zze und Rom:nja von Berlin nach Auschwitz-Birkenau deportiert; unter ihnen auch Jaija Sattler und seine Familie. Die Nationalsozialisten nutzten dabei die von den Missionar:innen angefertigte Listen mit persönlichen Informationen wie Name und Aufenthaltsort über die Familien der Sinti:zze und Rom:nja in Berlin. Laut dem evangelischen Theologen, Missiologen und Historiker Elmar Spohn (1967-heute) unterschätzten die Missionar:innen der Z*Mission in Berlin die nationalsozialistischen Diskriminierungspolitiken, die schließlich in Vernichtungsaktionen gegen alle zu „Zigeuner“ erklärten Menschen gipfelten, und verhielten sich hauptsächlich passiv.

Obwohl sich die Arbeit der Z*Mission mit der Ankunft Sattlers ausweitete und man regelmäßig über sie in den Missions- und Gemeinschaftsblättern berichtete, wurden die Missionar:innen in den 1930ern anscheinend nie von den nationalsozialistisch gleichgeschalteten Ordnungs- und Polizeibehörden des NS-Staates gestört. Dies war eventuell auch ein Grund, warum sich die Missionar:innen sicher fühlten. Der Historiker Klaus Dettmer schrieb jedoch, dass die im nördlichen Teil der Müllerstraße lebenden Sinti:zze und Rom:nja ab 1933 immer stärker dem „Terror der SA-Schergen unterworfen“ wurden. Vielleicht haben die Missionar:innen aber auch bewusst die Augen vor einer immer feindlicher werdenden Realität für Sinti:zze und Rom:nja verschlossen, oder auf andere Ursachen zurückgeführt:

„Radio und Schallplatten und Tonfilm haben unseren Zigeunern den so gern geschwungenen Fidelbogen aus der Hand geschlagen. Nur ganz selten dürfen sie noch einmal in einem kleinen Lokal aufspielen.“ (Die Stadtmission 1933, 45)

An dieser Stelle ist es vielleicht hilfreich, einmal auf Michael Rothbergs Konzept der „implizierten Subjekte“ zu verweisen, welches versucht, über die traditionellen Kategorien von Opfern, Täter:innen und Zuschauenden hinauszugehen. Implizierte Subjekte sind Personen, die zwar nicht direkt für Gewaltakte verantwortlich sind, aber dennoch durch ihre Positionen und Handlungen in Systeme der Unterdrückung und Gewalt verwickelt sind und/oder davon profitieren. Rothberg argumentiert, dass konventionelle Frameworks, die Menschen als entweder Opfer oder Täter:innen kategorisieren, die komplexen Weisen, wie Menschen in Ungerechtigkeiten verwickelt sind, nicht erfassen. Das Konzept fordert dazu auf, indirekte Verantwortungsformen anzuerkennen und darüber nachzudenken, wie Individuen und Gesellschaften diese systemischen Probleme angehen und abbauen können.

Bewertung der Missionsarbeit

Es wäre fatal so zu tun, als wäre die „Zivilisierungsmission“ der Missiobar:innen etwas anderes als ein zutiefst antiziganistisches, christlich-bürgerliches und nicht zuletzt auch weißes Unterfangen gewesen, welches in der Konsequenz Beihilfe zur Ermordung der Berliner Sinti:zze und Rom:nja durch die Nationalsozialisten geleistet hat.

Aber die Tätigkeitsberichte der Missionar:innen bieten nicht zuletzt auch Einblick in persönliche Entwicklungen und die unterschiedlichen Arten und Weisen, in denen die Missionar:innen Sinti:zze und Rom:nja unterstützt haben – gerade Missionar Süßkind half bei diversen Behördengängen, besorgte Tauf-, Kranken- und Gewerbescheine, organisierte Termine mit den Wohlfahrts- und Jugendämtern und den Gerichtsbehörden (seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten waren Sinti:zze und Rom:nja eigentlich von der Arbeitslosen-Wohlfahrtsunterstützung ausgeschlossen). 1934 äußerte Süßkind mit Nachdruck in seinem Bericht das Folgende:

„Ob schwarz oder weiß, ob arm oder reich, vor Gott sind wir alle gleich, und, nicht wahr, ihr betet mit darum, daß [sic!] recht viele Zigeuner den Weg in den Himmel finden.“ (Die Stadtmission 1934, 104)

Der Missionar Kurt Süßkind wurde ebenfalls im Februar 1943 von den Nationalsozialisten nach Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet. Was der Grund für seine Deportation war, ist unklar.

Frieda Zeller-Plinzner wiederum war nicht nur als Missionarin aktiv, sondern veröffentlichte auch zahlreiche missionarische Kinderbücher über ihre Arbeit in verschiedenen Z*Missionen in Deutschland und transportierte damit stereotype und diskriminierende Darstellungen von Sinti:zze und Rom:nja in das ganze Kaiserreich. Schon in ihrem 1914 publizierten Kinderbuch „Kiki“ nennt Zeller-Plinzner sich „Lolitschäj“ (Romanes für „rotes Mädchen“, benannt nach ihren roten Haaren und Wangen), einen Namen, den ihr die Sinti:zze und Rom:nja im Rahmen ihrer Missionsarbeit gegeben hatten.

Zeller-Plinzner betrachtete, wie auch andere Missionar:innen, die Sinti:zze und Rom:nja als arme, verirrte Kinder Gottes, die sie auf den Weg Jesu bringen wollte. Trotz ihres Paternalismus hatte sie den Willen, den Sinti:zze und Rom:nja beizustehen. Sie betreute Kranke, trank und aß gemeinsam mit den Menschen, tanzte und lauschte der Geigenmusik. Auch wenn ihre Intentionen mehr als problematisch waren, behandelte sie die Sinti:zze und Rom:nja damit menschlicher als der Großteil der restlichen Berliner:innen. Dies brachte ihr, so wie auch den anderen Missionar:innen, Achtung und Vertrauen von Seiten der Sinti:zze und Rom:nja ein.

Dieses Vertrauen nutzte dann im Nationalsozialismus Eva Justin, eine der Haupttäterinnen der Rassenhygienischen Forschungsstation, für ihre Zwecke. Selbst ebenfalls rothaarig, gab sich Justin als die Missionarin „Lolitschäj“ aus und konnte so nach Verwandten und Verwandtschaftsverhältnissen „vertrauensvoll“ fragen, um Informationen für Gutachten zu sammeln. Dafür konnte Zeller-Plinzner natürlich nichts; in dem Gerichtsverfahren gegen Justin, wo es unter anderem auch um diese Verwechslung ging, kritisierte der „Zigeunerpfarrer“ Althaus allerdings Zeller-Plinzner für ihre „Vertrauensseligkeit“ gegenüber den Ideen und Plänen der Nationalsozialisten. Statt die Sinti:zze und Rom:nja zu warnen, beschwichtigte sie. Sie und Jaija Sattler erkannten die zunehmende Gefahr nicht. Althaus erklärte, dass Zeller-Plinzner die nationalsozialistische Politik falsch einschätzte und von den Militärparaden und der neu erstandenen Wehrmacht positiv beeindruckt war. Auch wenn Zeller-Plinzner nicht die einzige dieser Zeit war, die das „wahre Gesicht“ des Nationalsozialismus nicht sehen konnte oder wollte, hätte sie die umfassende Unterdrückungspolitik, die der Massenvernichtung vorausging, auf ihren vielen Missionsreisen nicht übersehen können und dürfen.

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