Onkel-Tom-Straße
Zehlendorf
1933 wurde die ehemalige Spandauer Straße in Steglitz-Zehlendorf in “Onkel-Tom Straße“ umbenannt. Die Bezeichnung ist problematisch, da der Begriff “Onkel Tom“ eine Beleidigung gegenüber Schwarzen Menschen darstellt. Der Ursprung der Benennung bezieht sich auf den Roman “Onkel Toms Hütte“ von Harriet Beecher Stowe (1811 – 1896) aus dem Jahre 1852.
1933 wurde die ehemalige Spandauer Straße in Steglitz-Zehlendorf durch das NS-Regime in Onkel-Tom-Straße umbenannt. Die Namensgebung lässt sich auf das 1885 erbaute Lokal „Wirtshaus am Riemeister“ zurückführen, welches im Jahr 1978 abgerissen wurde. Der Besitzer sei Bewunderer des Weltbestsellers Uncle Tom’s Cabin (dt. “Onkel Toms Hütte“) von Harriet Beecher Stowe aus dem Jahre 1852 gewesen und habe als Zeichen der Solidarität mit der Abolitionismus-Bewegung das Lokal nach der Romanfigur “Onkel Tom“ umbenannt. Der Roman selbst wird heutzutage kontrovers diskutiert. Er wurde zwar von einer weißen Frau als Positionierung gegen die Sklaverei geschrieben, reproduziert aber rassistischeRassismusDer Begriff Rassismus lässt sich als ein Diskriminierungsmuster und Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse beschreiben. In modernen Gesellschaften sind es vor allem kulturelle Merkmale, über die Menschen abgewertet und ausgeschlossen werden. Das hat Auswirkungen auf die Wahrnehmung von Chancen und die Möglichkeiten der gesellschaftlichen Integration der Betroffenen. Stereotype. Das Lokal existiert seit über 40 Jahren nicht mehr, der Name wird jedoch heutzutage weiterhin als Relikt und Marke vor Ort verwendet.
Laut der Zehlendorfer Kunzendorf-Chronik von 1906 leitet sich die Benennung vom Namen des Besitzers Thomas ab. Zudem hätte der Sonnenschutz des Wirtshauses einer Lehmhütte geglichen, welche Gemeinsamkeit mit den Behausungen von versklavten Menschen in Beechers Roman hatten. Diese doppelte Assoziation habe die Metapher als Namen im Volksmund etabliert.
In beiden Fällen bettet sich der Name in einen kolonialen Kontext ein. Der Begriff “Onkel Tom“ gilt in der heutigen Sprache als diskriminierender Ausdruck gegenüber Schwarzen Menschen. Zusätzlich repräsentiert der Begriff die koloniale Sprachpraxis der Verwandtschaftsfiktion, die zu Zeiten der Sklaverei in den Südstaaten weit verbreitet war: Die Suffixe Uncle und Aunt stammen aus einer Zeit, in der Schwarze Menschen nicht als Mr. oder Mrs., sondern als vermeintliche Familienmitglieder bezeichnet wurden. Somit wurde die unentlohnte Arbeit mit einer fiktiven Fürsorgepflicht gerechtfertigt. Der Begriff ist im Kontext der Southern Hospitality zu verstehen, ein stereotyper Ausdruck, der der Mentalität südlicher US-Staaten Attribute wie Großzügigkeit, Freundlichkeit und Gastfreundschaft zuschreibt. Der Begriff ist in der englischen Sprache ausschließlich negativ konnotiert und stellt damit eine Beleidigung gegenüber Schwarzen Menschen dar. In der Psychologie beschreibt das “Onkel-Tom-Syndrom” einen Minderwertigkeitskomplex Schwarzer Menschen, die sich selbst unterordnen, um von weißen Menschen nicht als Bedrohung wahrgenommen zu werden.
Auch eine U-Bahnstation und die Siedlung in Steglitz-Zehlendorf sind nach “Onkel Tom“ benannt. Zusätzlich wird der Name weitgehend auch für umliegende Geschäfte und Restaurants verwendet.
Stand der Umbenennung
Eine Petition zur Umbenennung der Straße wurde im November 2020 von dem Basketballspieler Moses Pölking mit Unterstützung des Bürgermeisters Michael Müller gestartet und hat bereits über 14.000 Unterschriften erreicht (Stand November 2021). In den Medien wurde eine Umbenennung kontrovers diskutiert, der lokal ansässige Verein Onkel Tom e.V. lehnt diese konsequent ab. Im November 2020 hat die Bezirksverordnetenversammlung Steglitz-Zehlendorf eine Umbenennung diskutiert, zugestimmt wurde ihr jedoch noch nicht.
Unsere Empfehlung
Die Problematik bei der Benennung ist nicht nur die Reproduktion eines diskriminierenden Begriffs, sondern auch die fehlende kritische Vermittlung des kolonialen Kontextes, weder digital noch vor Ort.
Eine Alternative wäre eine Rückbenennung in “Spandauer Straße”. Auch das Aufgreifen eines Namen aus der US-Bürgerrechtsbewegung oder die Umbenennung nach dem Pfarrer Josiah Henson, einem versklavten US-Amerikaner, auf dessen Memoiren das Buch von Harriet Beecher Stowe basiert, wären Alternativen, um auf die Namensherkunft hinzuweisen.
Literatur
Morgan, J.-A: Uncle Tom’s cabin as visual culture. Columbia University Of Missouri Press 2016.
Moriah, Krisitn: Other People’s Cabins: German Inversions of Onkel Tom’s Hütte. Lateral 4 2015. Abrufbar im Internet: URL: https://doi.org/10.25158/L4.1.6, 21.02.2022.