Interview mit
Olivian von #queerhistoryberlin
Queere Repräsentation fehlt in der Berliner Erinnerungskultur. Das Projekt #queerhistoryberlin hat sich der Leerstelle angenommen und queere Biografien in den Berliner Stadtraum gebracht. Wir haben Olivian von #queerhistoryberlin zu einem Interview getroffen.
Olivian, wie kamst Du zu dem Projekt?
Das Instagram Projekt, gemeinsam mit den virtuellen Denkmälern, ist eigentlich eine Art Teilprojekt und erst vor Kurzem entstanden. Ich arbeite als Lehrkraft für Deutsch als Fremdsprache und habe meine Recherche 2017 begonnen, weil ich einfach diese heteronormativen Lehrbücher, in denen nur weiße-hetero-Kleinfamilien vorkommen, satt hatte und einen komplett anderen Kurs machen wollte. Die Idee war dann, das historisch zu grundieren und zu zeigen: Es gab schon ganz viel, das heute verschüttet ist.
Warum war diese historische Komponente wichtig für Dich?
Ich glaube das haben viele Communities gemeinsam, dass man das Gefühl hat man fängt von vorne an. Eigentlich ist es oft so, dass Geschichten die schon da waren entweder absichtlich verschüttet wurden oder – vielleicht manchmal nicht mit Absicht- verschütt’ gegangen sind und auch durch die eigene Community nicht wahrgenommen werden.
Wie sah Deine Aufarbeitung aus?
Ich habe erstmal diese Kurse gehalten und irgendwann angefangen die Beiträge zu Personen auf Twitter zu teilen, das war so 2019. Dann wurde ich letztes Jahr von Julian und Gloria angesprochen, weil sie gerne einen Teil davon als virtuelle Denkmäler in den Stadtraum bringen wollten.
Wie sehen dann diese virtuellen Denkmäler aus?
Die Denkmäler wurden von Gloria Schulz gestaltet. Ich hab die Personenauswahl gemacht und die Texte dazu geschrieben. Insgesamt sind es sieben Stationen. Dann gab es geführte Radtouren zu den einzelnen Stationen. Du kannst es aber auch alleine machen, indem du zu diesen Orten gehst und den QR-Code auf dem Boden scannst. Durch deine Handy-Kamera kannst du dann diese Person oder eine andere Konstruktion sehen. Die Denkmäler sind auch nicht nur an Orten, wo die Personen gewohnt haben, sondern auch wo beispielsweise ein Film entstanden ist, sie häufiger aufgetreten sind oder wo sie oft lang gegangen sind.
Hast Du eine Lieblingsbiografie, die Dir besonders am Herzen liegt?
Das ist schwierig, aber von den Sieben ist es vielleicht Annette Eick. Das ist eine jüdische Journalistin gewesen, die unglaublich viele Gedichte auf Deutsch und Englisch geschrieben hat und die gerade noch rechtzeitig aus Deutschland rauskam. Das Meiste davon ist aber unveröffentlicht. Ich finde sie als Person super spannend, weil sie trotz allem was sie erlebt hat eine positive Weltsicht hatte und irgendwie versucht hat das Beste rauszuholen. Die Gedichte sind auch wunderschön und ich hoffe, dass sie ein bisschen bekannter wird und sich vielleicht jemand ihr annimmt und sagt: “Wir müssen das editieren und rausbringen!”
Wie hast Du für die sieben Personen eine Auswahl getroffen?
Für mich war es wichtig, dass man möglichst viele verschiedene Bezugspunkte aufzeigt: dass eine Person of Colour dabei ist, dass eine ostdeutsche Person dabei sein muss und dass eine jüdische Person dabei sein muss – da wirds schon schwierig bei der Begrenzung auf sieben Personen. Mir war es aber auch wichtig, dass es eben nicht nur cis Schwule und cis Lesben sind, sondern auch eine trans Person, dass eine Person dabei ist – Ovo Maltine – die heute vielleicht sagen würde: “Ich bin nicht binär” und die damals gesagt hat: “Ich benutze das Pronomen es.”
Ist es nicht total schwer bei historischen Personen so etwas überhaupt herauszufinden? Wie hast Du da recherchiert?
Das meiste läuft im Schneeballsystem. Oftmals ist es so: Ich suche über die eine Person etwas und finde darüber etwas über eine andere Person heraus. Aber du hast recht, es ist oft sehr schwierig. Und was auch immer ein Problem ist: Wie labeled man historische Personen? Bei ganz vielen Texten vermeide ich zu schreiben, die Person war lesbisch oder schwul oder was auch immer, weil die das für sich selbst nicht benutzt hätten. Trotzdem können wir das aufzeigen durch beschreibende Sätze, die zeigen wie die Person gelebt hat.
Und weißt Du, ob es schon Straßen, Denkmäler oder Orte in Berlin gibt die queeren Personen gedenken?
Es gibt die Karl-Heinrich-Ulrichs-Straße am Nollendorfplatz, die Else-Lasker-Schüler-Straße, das “Emanzipationsdenkmal” an der Spree, den “Rosa Winkel” am Nollendorfplatz für die Opfer des Nationalsozialismus und es gibt gegenüber vom “Denkmal für die ermordeten Juden Europas” diesen kleinen Platz mit dem ewigen Kuss. Die meisten Straßen sind aber eben nicht mit der Intention benannt eine queere Person zu ehren.
Spannend! Es gibt ja in einigen Berliner Bezirken die Regelung, dass mehr Straßen nach Frauen benannt werden sollen und da ist überhaupt nicht berücksichtigt, dass es eben auch Menschen außerhalb dieser Binarität gibt. Wird überhaupt das Problem gesehen, dass queere Geschichte im Berliner Stadtraum so unterrepräsentiert ist?
Es gibt so eine kleine Broschüre von 2006 mit verschiedenen queeren Personen, die vom Senat empfohlen wurden. Aber ansonsten? Das Bewusstsein dafür wächst auf jeden Fall, aber Berlin ist da ja sehr langsam. Wann kommt man dann zu dieser gewünschten Parität? Wenn es so weitergeht, werden wir es nicht erleben. Der Mut zur Umbenennung fehlt einfach.
Ich finde es total wertvoll das Bewusstsein dafür zu haben wie viele Leute es gab, die bedeutend waren. Dann können wir ja auch darüber reden wieso Queerness in der Geschichtswissenschaft so wenig Raum findet.
Es gibt Menschen, die zwar erinnert werden aber deren Queerness nicht erinnert wird. Das bekannteste Beispiel ist Hans Scholl, dessen Queerness jahrzehntelang verschwiegen wurde, weil das nicht ins Erinnerungskonzept gepasst hat. Sowas ist natürlich interessant, aber auch eine Schwierigkeit bei der Recherche: Einerseits gibt es das Verschweigen der Queerness und andererseits muss man bedenken, dass Leuten damals mit Absicht etwas unterstellt wurde, weil das damals Karrieren beenden konnte.
Was waren noch weitere Gründe, dass so etwas nicht überliefert wurde?
Naja, es gibt ja auch die Leute von denen es alle wussten, aber niemand darüber geredet hat, wie z.B. Gustaf Gründgens. Der ist ein ambivalentes Beispiel, weil er einerseits mit den Nationalsozialisten zusammengearbeitet hat und andererseits queeren und jüdischen Kolleg:innen geholfen hat aus Nazi-Deutschland raus zu kommen.
Ich finde es total wichtig Flinta* und queere Personen auch ambivalent zu betrachten, aber wie können wir das ohne ihnen ein Denkmal zu errichten?
Ich würde sagen bei Straßennamen muss die Person dessen würdig sein. Bei einem Denkmal kann ich das vielleicht sogar eher einbringen, da man das Denkmal beispielsweise hinlegen oder etwas davor machen kann, was zeigt: Ok, hier gibt es eine Ambivalenz.
Ich habe eine Reihe von sehr ambivalenten Personen in meiner Liste und finde es wichtig queere Geschichte, auch eben die widersprüchliche, erneut zu erinnern.
Vielen Dank für das Interview Olivian!
Olivian (O.N. Völkel) arbeitet und forscht an der Freien Universität Berlin im Bereich Deutsch als Fremdsprache, unter anderem zum Einbezug von queeren Themen in den Sprachunterricht.