Sauerbruchweg

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Ferdinand Sauerbruch (1875-1951) zählt zu einer der einflussreichsten und bekanntesten Chirurgen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Unbekannt ist jedoch oftmals seine national-konservative Überzeugung, die er offen vertrat und mit der er als Arzt das nationalsozialistische System unterstützte.

Weimarer Republik und Erster Weltkrieg

Im Jahr 1895 begann Ferdinand Sauerbruch sein Medizinstudium in Leipzig, Jena und Marburg, das er 1902 mit einer Promotion abschloss. Danach arbeitete er an verschiedenen Krankenhäusern als Assistenzarzt und entwickelte am Breslauer Universitätsklinikum ein Forschungsinteresse für den Bereich der Brustraumchirurgie, für das er heute maßgeblich bekannt ist.

Als der Erste Weltkrieg ausbrach, meldete sich der deutsch-national überzeugte und kriegsbegeisterte Sauerbruch freiwillig bei der Armee. Als Chirurg versorgte er in Lazaretten Kriegsverletzte und entwickelte dabei den sog. “Sauerbruch-Arm”, bei dem es sich um eine Prothese handelt, die direkt in den Körper eingesetzt wird. Nach Kriegsende stieg die Nachfrage nach seinen Armprothesen enorm an. Er gründete deshalb 1920 die Deutsche Ersatzgliedergesellschaft Sauerbruch GmbH (DERSA), um die Versorgung mit den Prothesen schneller ermöglichen zu können.

1927 wechselte Sauerbruch an die Charité Berlin, wurde dort Ordinarius der II. Chirurgischen Klinik. Den zugehörigen Lehrstuhl hatte er bis 1949 inne. Außerdem wurde er 1932 zum Ehrenmitglied sowie Ehrenpräsident der Berliner Chirurgischen Gesellschaft ernannt und blieb dies bis 1950.

Nationalsozialistisches Engagement

1933 trat Sauerbruch in Berlin der Mittwochsgesellschaft, einer Gruppe aus 16 Personen aus Wissenschaft, Kultur sowie Verwaltung und Regierungsmitgliedern, bei. Die Mittwochsgesellschaft nahm mit ihrem Namen Bezug zu der sog. Berliner Mittwochsgesellschaft, die bis 1798 Konzepte der Aufklärung diskutierte und teilte. In Anlehnung daran wollte die Mittwochsgesellschaft den wissenschaftlichen Fortschritt unterstützen und neue Erkenntnisse teilen. Einige Mitglieder waren starke Befürworter des nationalsozialistischen Systems. Auch Sauerbruch, der sich bereits nach dem Ersten Weltkrieg in einem national-konservativen Umfeld bewegte, in dem er auch auf Adolf Hitler (1889-1945) traf, befürwortete offen die nationalsozialistische Regierung.

Über den Reichsrundfunk zeigt er sich in zwei öffentlichen Reden als Sympathisant des nationalsozialistischen Regimes. Mit seinen Reden wollte er die Bevölkerung dazu auffordern, in einem Referendum am 12. November 1933 für den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund, einem internationalen Zusammenschluss verschiedener Länder, zu stimmen. Im September 1937 bekam Sauerbruch den von Adolf Hitler gestifteten Ehrenpreis, den Deutschen Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft, auf dem Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg verliehen. Dieser Preis sollte im Nationalsozialismus als Gegenstück zum Friedensnobelpreis fungieren. Im Juli 1942 wurde Sauerbruch zum Generalarzt des Heeres ernannt. Ab 1944 war er Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Bevollmächtigten für das Gesundheitswesen.

Mitglied im Reichsforschungsrat

Außerdem war Sauerbruch ab 1937 Leiter der Fachgliederung Medizin im Reichsforschungsrat und konnte damit Einfluss auf die Forschungsförderung nehmen. Seit 1941 förderte der Reichsforschungsrat rassenideologische Versuche in Zwangs- und Konzentrationslagern. Sauerbruch genehmigte in dieser Zeit die Forschungsvorhaben. Auch wenn in diesen Anträgen nicht eindeutig die später durchgeführten “rassenhygienischen Experimente” beschrieben und ihr menschenfeindlicher Charakter deutlich werden, ist naheliegend, dass Sauerbruch über die Misshandlungen der Menschen in den Lagern Bescheid wusste und mit einer Genehmigung erst zu ihrer Durchführung beitrug. Zudem war er im Mai 1943 Teilnehmer der “3. Arbeitstagung Ost der Beratenden Fachärzte“, auf der die Anwesenden über die von Karl Gebhardt (1897-1948) und Fritz Fischer (1912-2003) durchgeführten brutalen und als unethisch bewerteten Sulfonamidforschungen an KZ-Häftlingen informiert, diese als kriegsnotwendig gerechtfertigt und deshalb ohne Kritik hingenommen wurden. Eindeutig nachweisbar ist seine Mitwisserschaft in Hinblick auf die “Experimente” jedoch nicht.

In dem Buch “Vermessen und Vernichten. Der NS-’Zigeunerforscher’ Robert Ritter” wird außerdem erwähnt, dass Sauerbruch Empfehlungsschreiben für die Rassenhygienische Forschungsstelle schrieb und damit die Verfolgung und Vernichtung von Sinti:zze und Rom:nja unterstützte.

Während des Nürnberger Ärzteprozesses 1947 lehnte Sauerbruch seine Verantwortung gegenüber den menschenverachtenden medizinischen Versuchen ab und wehrte sich gegen den Vorwurf, davon gewusst zu haben. In der ersten Dokumentation Das Diktat der Menschenverachtung von Alexander Mitscherlich und Fred Mielke über den Prozess wird Gegenteiliges beschrieben, weshalb Sauerbruch diese gerichtlich verbieten lässt.

Wann genau der Privatweg auf dem Berliner Charité-Campus benannt wurde, ist unklar.

Stand der Umbenennung

Ferdinand Sauerbruch war kein Mitglied der NSDAP und setzte sich zeitlebens für jüdische Kolleg:innen und Freund:innen ein, indem er beispielsweise Empfehlungsschreiben für vom NS-Regime diskriminierte Ärzte schrieb und diese an Kolleg:innen im Ausland schickte. Dennoch ist seine Vita kritisch zu betrachten und seine Rolle als Mittäter sollte weiter erforscht werden. Als Mitglied und Gutachter im Reichsforschungsrat sowie als Teilnehmer an Tagungen ist eine gänzliche Unwissenheit über die medizinischen NS-Verbrechen kaum glaubhaft. Dies stellte bereits im August 2018 der Beirat “Wissenschaftliche Betrachtung von namensgebenden Persönlichkeiten” der Stadt Hannover in seinem Abschlussbericht heraus und sprach sich für eine Umbenennung der dortigen Sauerbruchstraße aus.

In Berlin wurde 2018 von der AG Kritische Mediziner:innen der Charité sowie weiteren Hochschulgruppen in einem offenen Brief um eine Erklärung gebeten, warum mit dem Sauerbruchweg an einen Anhänger des Nationalsozialismus erinnert wird. Der Brief blieb unbeantwortet. Außerdem wurde seit Juli 2018 in drei Aktionen der Sauerbruchweg kurzweilig in Käte-Frankenthal-Weg umbenannt, um so auf die problematische Bezeichnung der Straße aufmerksam zu machen. Auch diese Aktionen sind bisweilen erfolglos. So gibt es momentan von der Charité, in dessen Verantwortung die Umbenennung des Privatwegs fällt, keine Bestrebungen, den Weg umzubenennen. Ähnlich verhält es sich mit der Sauerbruchstraße in Berlin-Wannsee. Auch hier ist die Umbenennung der Straße bisher nicht geplant.

Literatur

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