Whose streets?
Veranstaltung im FHXB Friedrichshain-Kreuzberg-Museum
Anfang diesen Jahres haben wir im Arbeitskreis Stadtraum von Decolonize Berlin e.V. die Broschüre „Auswertung aller Berliner Straßen und Plätze in Hinblick auf eine weiße patriarchalische Erinnerungskultur“ herausgegeben. Das Friedrichshain-Kreuzberg FHXB Museum hat sich näher mit unserer Publikation beschäftigt und uns am 7. Dezember 2023 eingeladen, unsere Arbeit bei Ihnen vorzustellen.
Ein Ausschnitt der Diskussion zwischen Josepha Jendricke (Netzwerk gegen Feminizide) und Clara Westendorff (Straßenlärm Berlin e.V.) aus dem Arbeitskreis Stadtraum sowie der Moderatorin Luise Fakler (FHXB Museum) wurde für diesen Blogartikel transkribiert.
Luise Fakler: Erst einmal vielen Dank für eure Präsentation und vor allem Respekt für die viele Arbeit, die ihr euch gemacht habt! Ihr habt ja schon ganz am Ende von eurer Präsentation auch gezeigt, was euch besonders ins Auge gestochen ist in Bezug auf den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Wo genau seht ihr denn da jetzt am meisten Handlungsbedarf?
Clara: Wenn man sich die Straßen anschaut, die nach Personen benannt sind, dann fallen natürlich einige auf, die problematisch sind, zum Beispiel Personen, die sich antisemitisch geäußert haben. Ich finde auch den militaristischen Fokus in Kreuzberg problematisch, aber ich glaube, es ist schwierig zu sagen: “Diese Straßen sind die Schlimmsten und da muss zuerst etwas gemacht werden.”
Straßenumbenennungen sind ja auch ein Prozess der Bürger:innenbeteiligung. Ein Problem ist meiner Meinung nach, dass es einfach viel zu wenig Wissen darüber gibt, nach wem Straßen und Plätze benannt sind. Außerdem wird viel zu wenig darüber gesprochen, warum in der Berliner Erinnerungskultur die preußische Monarchie immer noch so eine große Rolle spielt, obwohl wir schon seit über 100 Jahren nicht mehr in dieser Welt leben und eigentlich meines Erachtens auch nicht vorhaben werden, wieder zur Monarchie zurückzukehren. Ich glaube, ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein darüber muss als Erstes her.
Josepha: Gerade diese problematischen Straßennamen und die Frage nach ihrer Umbenennung sind eine Chance, ins Gespräch zu kommen. Wir haben durch sie einen Ansatzpunkt, uns mit der Geschichte und Erinnerungskultur vor der eigenen Haustür auseinanderzusetzen. Ich verstehe natürlich auch, dass die Straßen primär in ihrer Orientierungsfunktion wahrgenommen werden. Und ich verstehe auch, dass es Leute gibt, die sagen: “Es juckt mich jetzt einfach nicht” – auch fair. Aber ich glaube, es gibt auch bei vielen Leuten ein großes Interesse und, dass das Reden über Straßennamen einen Zugang liefern kann, um über die Gegenwart nachzudenken, auch über Konzepte, wie was bedeutet eigentlich “fremd”, was bedeutet “lokal”, was ist “global”, auch in Bezug auf Erinnerung?
Auf welchem Wege kann man dieses fehlende Wissen noch stärker in die Gesellschaft tragen? Würdet ihr sagen, dass eine Umbenennung da vor allem der Weg ist? Gibt es noch andere Möglichkeiten?
Clara: Ich würde sagen, zum Beispiel im Geschichtsunterricht.
Josepha: Im Zuge der Recherchen für diese Präsentation habe ich gelesen, dass in Berlin-Kreuzberg bereits eine Diskussion über Straßennamen, die nach Schlachten benannt sind, geführt wurde. Der Entschluss war, dass die Umbenennung nicht für alle der Weg ist. Alternativ wurde vorgeschlagen, ob irgendeine Form von Veranstaltungsreihen oder Diskussionsforen eine Möglichkeit bieten, ins Gespräch zu kommen und darüber zu informieren. Gleichzeitig weiß ich auch aus dem Bezirk Mitte, dass für so was natürlich auch immer Gelder gebraucht werden und Gelder da sehr oft fehlen.
Clara: Die Straßen in Friedrichshain-Kreuzberg spiegeln überhaupt nicht die Gesellschaft wider, die momentan hier lebt. Es sind beispielsweise acht Prozent der nach Personen benannten Straßen Frauen gewidmet, aber es leben mehr als acht Prozent Frauen im Bezirk; diese Vergleiche kann man ja auch noch weiterspinnen. Ich glaube, es würde schon einen wertvollen Austausch und ein breites Bewusstsein geben, wenn mehr partizipative Möglichkeiten zur Bürger:innenbeteiligung vorhanden wären, die auch entsprechend finanziert wären. Momentan sind die Hürden, um sich einzubringen, sehr hoch. Das, was wir jetzt gemacht haben, ist ja auch ein mühsam jahrelanger ehrenamtlicher Prozess von circa zehn Personen. Und diese Zeit und Ressourcen haben ja die wenigsten.
Josepha: Die Straßen spiegeln natürlich nicht die Gesellschaft wider, haben sie aber auch schon damals nicht. Es haben auch im 19. Jahrhundert nicht nur irgendwelche Männer und Militärs in Friedrichshain-Kreuzberg gelebt. Es sind viele Menschen nach Berlin emigriert, zum Beispiel viele jüdische Menschen aus Russland und Polen, es gab eine starke Frauenbewegung und Arbeiterbewegung. Diese Kämpfe sind gar nicht neu, sie finden bloß keine Anerkennung in der Berliner Erinnerungskultur.
Und vielleicht noch ein Wort zu diesem Beteiligungsprozess. Ich bin Bürgerdeputierte im Ausschuss für Weiterbildung in Mitte und ich sehe dieses Engagement sehr zwiegespalten, weil ich weiß, dass ich es als sehr empowerend empfand, diesen Prozess mit zu begleiten und an der Lokalpolitik mitzuwirken, aber es ist halt auch eine Ressourcenfrage. Ich studiere noch und mache das, weil es mich interessiert, aber eine Person, die Vollzeit arbeitet und noch Kinder hat, kann das vielleicht eher nicht.
Was ich sonst noch sehr eindrücklich fand an eurer Präsentation war, dass sie auch gezeigt hat, wann Straßen umbenannt wurden und dass die Benennung nicht etwas nur über die Namensgeber:innen aussagt, sondern auch über den Kontext und die Zeit, in der das geschieht. Könntet ihr sagen, was ihr davon relevanter findet, also die Person selber, die geehrt wird, oder vielmehr der Kontext?
Clara: Dass eine Person geehrt wurde, ist ja oft der Grund, warum wir uns heute damit beschäftigen. Wenn die Umstände und das Bewusstsein der Zeit anders gewesen wären, dann wäre es womöglich gar nicht passiert. Und ob eine Bismarckstraße, 1910 oder 1890 benannt wurde, ist meiner Meinung nach in erster Linie nicht relevant, aber es erzählt uns eben etwas über den Kontext der Benennung.
Josepha: Was man daraus mitnehmen kann, ist, dass Benennungen und Umbenennungen immer in einem zeithistorische Kontext passieren, oft eben im Kontext von irgendwelchen politischen Umbrüchen oder Kriegen, wodurch eine Identität im Stadtraum manifestiert und stabilisiert werden soll. Wenn wir auf diesen Kontext schauen, können wir versuchen einen Umgang mit der Vergangenheit zu finden.
Clara: Zu Beginn der Weimarer Republik wurde auch schon darüber gesprochen, die ganzen Straßen, die einen monarchischen Bezug haben, umzubenennen oder ob die Siegessäule weg soll. Ich finde das schockierend, wie wir 100 Jahre später eben immer noch diese Namen haben. Es gibt ein Problembewusstsein dafür, dass eine Straße nach einer Person, die NS- oder Kolonialbezug hat oder Antisemit war, weg soll, aber nicht dafür, dass die preußische Monarchie auch problematisch war und extrem manifestiert wird im Stadtraum.
Der Stadtraum gehört uns Bürger:innen. Warum sollten wir diese Person oder Schlachten noch ehren? Also das ist für mich einfach nicht verständlich und ich würde mir wünschen, dass wir alle den Stadtraum gestalten können, weil er uns ja eben irgendwie allen auch gehört. Straßen umzubenennen ist da ein möglicher Weg von vielen.