Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas

Tiergarten

Das “Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas” soll an die circa 500.000 Sinti:zze und Rom:nja erinnern, die während der Zeit des Nationalsozialismus (1933-1945) systematisch verfolgt und ermordet wurden. Mit dem Denkmal soll an verschiedene verfolgte Gruppen gedacht werden. Die größte Gruppe bilden die Sinti:zze und Rom:nja, es ist aber beispielsweise auch das Gedenken an Lalleri, Lowara, Manusch oder Jenische sowie andere Fahrende eingeschlossen.

Geschichte des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma  Europas

Der Genozid an Sinti:zze und Rom:nja fand in der deutschen Erinnerungskultur der Nachkriegszeit wenig Aufmerksamkeit. Erst 37 Jahre nach Kriegsende, am 17. März 1982, wurde der Völkermord durch den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (1930 – 2017) von der Deutschen Bundesregierung anerkannt. Die Anerkennung geht vor allem auf Bestrebungen von Selbstorganisationen und Einzelpersonen zurück, die sich öffentlich für die Errichtung eines Denkmals aussprachen.

Romani Rose (*1946), Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, forderte 1989 zunächst ein Denkmal, das sowohl Jüdinnen und Juden, Homosexuellen als auch Sinti:zze und Rom:nja gewidmet werden sollte. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis (1927-1999), sprach sich jedoch dagegen aus. Die Bürgerinitiative Perspektive Berlin führte das Argument an, dass die Shoah in sich als singuläres Ereignis zu fassen sei und deshalb kein gemeinsames Denkmal infrage komme. Stattdessen fasste die damalige Bundesregierung 1992 den Beschluss, dass in unmittelbarer Nähe zueinander einzelne Denkmäler errichtet werden sollen. Die Trennung wurde stark kritisiert, da diese als Hierarchisierung der im Nationalsozialismus verfolgten Gruppen wahrgenommen wurde. Trotzdem wurde 1992 mit dem Beschluss der Bundesregierung die Errichtung eines Denkmals für Sinti:zze und Rom:nja bindend.

Danach brach eine Debatte über den Ort des Denkmals aus. Eigentlich wurde der Standort im Tiergarten in unmittelbarer Nähe zum Reichstagsgebäude bereits 1994 festgelegt. Durch den Regierungswechsel 1995 und den damit verbundenen Amtsantritt der CDU kam es jedoch zu keinem Beschluss. Stattdessen schlug 1995 die CDU vor, das Denkmal am Stadtrand auf dem Gelände des ehemaligen Zwangslagers Marzahn zu errichten, um einer Ansammlung von Denkmälern in Berlin-Mitte entgegenzuwirken. Der Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma forderte jedoch weiterhin die Positionierung des Denkmals an einem zentralen Ort und fand öffentlich zahlreiche Unterstützer*innen. Um dieser Forderung gegenüber der Bundesregierung Nachdruck zu verleihen, fanden von 1996 bis 1999 jährlich Proteste auf dem geplanten Gelände des Denkmals statt. 1999 waren diese erfolgreich und der Tiergarten wurde als Ort für das Denkmal offiziell festgelegt.

Nach dieser Entscheidung diskutierten Sinti:zze und Rom:nja Selbstorganisationen und die Staatsministerin für Kultur und Medien, Christina Weiss (*1953), über die Inschrift des Denkmals. Zunächst war hierfür ein Zitat von dem damaligen Bundespräsident Roman Herzog (1937-2017) vorgesehen. Christina Weiss (*1953), sprach sich jedoch dagegen aus. Sie schloss sich dem Standpunkt der sich gerade in Gründung befindlichen Sinti Allianz an, die sich gegen den Begriff Sinti und Roma und für die Bezeichnung “Zigeuner” auf dem Denkmal aussprach.

Christina Weiss (*1953) stellte sich damit gegen die Selbstbezeichnung der seit Jahren existierenden Selbstorganisationen, wie dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und der dazugehörenden Landesverbände, der Rom und Cinti Union und der Romani Union Berlin. Diese kämpften nun dafür, dass das Denkmal nicht in der Sprache der Täter*innen an die im Porajmos Gestorbenen erinnert. 2007 einigte sich der Zentralrat in Absprache mit der Bundesregierung darauf, das Gedicht Auschwitz des Schriftstellers Santino Spinelli (*1964) zu verwenden und zusätzlich die Chronologie der NS-Verfolgung auf Tafeln darzulegen, in der die rassistischeRassismusDer Begriff Rassismus lässt sich als ein Diskriminierungsmuster und Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse beschreiben. In modernen Gesellschaften sind es vor allem kulturelle Merkmale, über die Menschen abgewertet und ausgeschlossen werden. Das hat Auswirkungen auf die Wahrnehmung von Chancen und die Möglichkeiten der gesellschaftlichen Integration der Betroffenen. Sammelbezeichnung verwendet wird.

So wurde nach genau 20 Jahren, am 24. Oktober 2012, das Denkmal feierlich von Bundespräsident Joachim Gauck (*1940), Bundestagspräsident Prof. Dr. Nobert Lammert (*1948) und Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (*1954) eingeweiht.

Kurzbiografie des Künstlers

Mit der Ausführung des Denkmals wurde der Künstler Dani Karavan (1930-2021) beauftragt. Dani Karavan wurde am 7. Dezember 1930 in Tel Aviv (Israel) geboren. Als Kind polnisch-jüdischer Einwanderer hat er einige Familienangehörige durch den Nationalsozialismus verloren. Im Alter von 14 Jahren begann er Malerei zu studieren. Studien an der Bezalel School of Art and Design in Jerusalem, an der Accademia di Belle Arti in Florenz sowie an der Académie de la Grande Chaumière in Paris folgten. Seine Arbeiten beschäftigen sich oft mit Politik und Geschichte und beziehen meist Themen wie Frieden, Menschenrechte und die Erinnerung an den Holocaust ein. Die größtenteils abstrakt erscheinende Form seiner Werke wird oft um Bestandteile aus der Natur (Sonne, Wasser, Sand, Wind) ergänzt. Beides trägt zu einem partizipativen Charakter bei, der die Besuchenden dazu auffordert, das Werk durch Bewegung subjektiv zu erfahren.

Beschreibung des “Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas”

Eingeschlossen von Bäumen und Glasplatten, auf denen über die Geschichte des Projarmos aufgeklärt wird, liegt das Denkmal, abgeschirmt vom restlichen Tiergarten, unweit des Reichstags. Zentraler Bestandteil des Denkmals ist ein kreisrundes, 12 Meter Durchmesser umfassendes Wasserbecken aus schwarzSchwarzDer Begriff Schwarz ist keine Bezeichnung für eine Hautfarbe oder biologische Kategorie, sondern eine sozial konstruierte Lebenserfahrung, Identität sowie Kulturerbe sowie . Das großgeschriebene „S“ drückt politischen Widerstand gegen Rassismus aus, welcher von Menschen erlebt wird, die als „nicht weiß“ bezeichnet werden und in einer weißen Mehrheitsgesellschaft leben. beschichtetem Stahl. Auf dessen Wasseroberfläche spiegeln sich die umliegenden Bäume, der nahegelegene Reichstag und die Besuchenden, sodass das Becken äußerst tief erscheint. In der Mitte liegt ein Dreieck-Sockel aus Granit, der durch seine Form an den Winkel erinnert, den Sinti:zze und Rom:nja als Erkennungsmerkmal in den Konzentrationslagern tragen mussten. Täglich senkt sich das Dreieck um die Mittagszeit herab und erscheint mit einer frischen Wildblume wieder auf der Wasseroberfläche. Am metallenen Beckenrand wurde auf Englisch und Deutsch das Gedicht Auschwitz des Roma Santino Spinelli (*1964) eingraviert:

“Eingefallenes Gesicht / erloschene Augen / kalte Lippen / Stille / ein zerrissenes Herz / ohne Atem / ohne Worte / keine Tränen.”

Außerdem befinden sich um das Wasserbecken herum Steinplatten, die in den Rasen eingelassen wurden und 69 Ortsnamen tragen, an denen sich Vernichtungs,- Konzentrations,- und Sammelstellen für Sinti:zze und Rom:nja befanden oder Erschießungen stattgefunden haben. Die Steinplatten erinnern in ihrer Form an Scherben, die symbolisch für Zerstörung, Zersplitterung, Verlust und Verletzung stehen. Ergänzt wird der Raum durch einen permanenten Geigenton aus dem Stück Mare Manuschenge (Unseren Menschen) von Romeo Franz (*1966). Der sich ständig verändernde Ton folgt der Molltonleiter, die typisch für die traditionelle Musik der Sinti:zze ist und auch im modernen Sinti-Jazz und Sinti-Swing vorkommt. Der Ton wurde von dem Komponisten eigenhändig für das Denkmal eingespielt.

Heutiger Umgang

Seit 2020 ist das Denkmal in seiner Zugänglichkeit und seinem Erscheinungsbild bedroht. Die Deutsche Bahn AG plant eine S-Bahn-Trasse unter dem Gelände entlang zu führen. Das würde einen Abbau des Denkmals zur Folge haben. Als die Pläne bekannt wurden, kam es im Sommer 2020 zu einer Demonstration mit circa 700 Teilnehmenden, die sich für den vollständigen Erhalt des Denkmals einsetzten. Darüber hinaus handelt es sich bei der Deutschen Bahn AG um die Nachfolgeorganisation der Deutschen Reichsbahn, die im Nationalsozialismus für den Transport von inhaftierten Menschen in die Konzentrationslager verantwortlich war, was die Baupläne zusätzlich bedenklich macht.

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und die Stiftung Denkmal traten deshalb mit Berliner Senator:innen der Bundestagsverwaltung und der Deutschen Bahn AG in Verhandlung, um alternative Fahrwege zu besprechen. Dies führte immerhin dazu, dass der Plan, das Denkmal für die Bauarbeiten abzubauen, verworfen wurde. Jedoch wurde keine neue Strecke für die S-Bahn beschlossen. Sollten die Baupläne also umgesetzt werden, müssten die umliegenden Bäume gefällt werden, was eine erhebliche Veränderung des Erscheinungsbildes zur Folge hätte.

Aufgrund dessen gab es im September 2023 ein Krisengespräch zwischen Vertreter:innen verschiedener Selbstorganisationen, der Denkmalstiftung, Noa Karavan-Cohen, der Tochter des Künstlers Dani Karavan, und der Deutschen Bahn AG, bei der die Deutsche Bahn AG allerdings an ihren Plänen festhielt. Daraufhin wurde ein offener Brief an die zuständigen Senator:innen Manja Schreiner (*1978, CDU) und Joe Chialo (*1970, CDU) verfasst, mit dem Anliegen, einen alternativen Fahrweg zu finden. Seitdem gibt es von den Senator:innen keine Rückmeldung. Sollten den Plänen der Deutschen Bahn AG jedoch zugestimmt werden, wäre dies ein erheblicher Schlag für die Betroffenen. Außerdem spiegelt es den jahrelangen politischen Prozess der Anerkennung des Porajmos wider und wäre ein Zeichen für die geringfügige Verankerung des Genozids an Sinti:zze und Rom:nja in der Erinnerungskultur und im Geschichtsverständnis Deutschlands.

Literatur

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