Pestalozziplatz
Lichterfelde
Der Platz wurde nach dem Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) benannt, der als Gründer der modernen Pädagogik, Wegbereiter der Volksschule und der Lehrerbildung gilt und in seinen Schriften frühantisemitische und antiziganistische Motive reproduzierte. Der Zeitpunkt der Benennung ist nicht bekannt.
Johann Heinrich Pestalozzi wurde am 12. Januar 1746 in Zürich geboren. Er kam aus keiner besonders wohlhabenden Familie, erhielt dennoch eine Schulbildung durch mehrere kostenlose Schulen in Zürich. In seiner Studienzeit entwickelte sich Pestalozzi zum Anhänger des französischen Philosophen und Vertreter der Aufklärung Jean-Jacques Rousseau (1712-1778), der das tugendhafte freie Leben in der Natur predigte. Inspiriert von Rousseaus Schriften beschloss er, den armen und rechtlosen Menschen auf dem Land zu helfen. Daher brach er sein Studium mit 21 Jahren ab, um Landwirt zu werden. Als Vorbereitung ging er ab 1767 in die landwirtschaftliche Lehre bei Johann Rudolf Tschiffeli (1716-1780), der mit der Berner Ökonomischen Gesellschaft ebenfalls die Ideen der Aufklärung verbreitete. Im selben Jahr verliebte sich Pestalozzi in Anna Schulthess (1738-1815), die er 1769 heiratete.
Erstes Scheitern in Neuhof
Nach seiner Grundausbildung kaufte Pestalozzi von seinem Erbe und einem Kredit 20 Hektar Land im Dorf Birr. Dort errichtete er das Haus „Neuhof“ und eröffnete eine Armenanstalt. Sein Ziel war es, Kindern zu helfen und ihnen während der handwerklichen Ausbildung Elementarunterricht zu geben. Das Ehepaar Pestalozzi nahm also ab 1773 Kinder in ihr Haus auf, die sie ernährten, kleideten und zum Arbeiten anleiteten. Seine Frau Anna Pestalozzi arbeitete als Hausmutter für sein Projekt und betreute die bis zu 37 Kinder. Leider war ihr Mann als Unternehmer nicht begabt und so scheiterte das Projekt Neuhof aufgrund mangelnder Finanzierung. Anna Pestalozzi musste 1778 seine Schulden mit ihrem Erbe ausgleichen.
Nach dem Scheitern seines Projekts wandelte sich Pestalozzis rousseausches-positives Weltbild und er war fortan überzeugt, dass alle Menschen Egoisten waren. In Neuhof arbeitete er als Schriftsteller und publizierte sein erstes erfolgreiches Buch Lienhard und Gertrud (1781-1787). Außerdem gab er 1782 die Wochenzeitschrift Ein Schweizer-Blatt heraus, in dem er hauptsächlich seine eigenen Texte abdruckte. Wegen mangelnden Interesses stellte er sie jedoch gegen Ende 1782 wieder ein.
Karrieresprung durch die Französische Revolution
Pestalozzi wurde in der Französischen Revolution (1789-1795) als einziger Schweizer neben 17 anderen Personen zum französischen Ehrenbürger ernannt. Als sich nach dem Einmarsch französischer Truppen 1798 auf dem Gebiet der Schweiz die Helvetische Republik bildete, stellte sich Pestalozzi unter den Dienst des neuen Staates und gab das Helvetische Volksblatt heraus.
Als die neue Regierung beschloss, in Stans eine Anstalt für verwaiste Kinder zu eröffnen, wurde Pestalozzi die Leitung übertragen. Am 14. Januar 1799 eröffnete das Kinderheim in Stans, das bald 80 Kinder betreute. Pestalozzis Idee war es, eine Verbindung zwischen Fühlen (Herz), Handeln (Hand) und Denken (Kopf) herzustellen, wodurch ethisches Handeln nicht nur rational – wie bei der Aufklärung – sondern auch emotional verankert würde. Der Unterricht fand zwischen sechs und acht Uhr morgens und abends zwischen vier und acht Uhr statt. Dazwischen mussten die Kinder arbeiten und erhielten eine handwerkliche Ausbildung. Kriegerische Ereignisse führten dazu, dass die Schule im Juni aufgelöst und in ein Militärlazarett umgewandelt wurde. Pestalozzi fuhr daraufhin auf Kur, wo er den Stanser Brief, eine vielzitierte pädagogische Schrift von ihm, verfasste.
Karriere als Lehrer
Mit 53 Jahren entschied sich Pestalozzi dazu, Lehrer zu werden. Ihm wurde das Erziehungsinstitut Schloss Burgdorf als Arbeitsort zugewiesen, eine Verbindung aus Knabenschule, Pensionsanstalt, Lehrseminar und Waisenhaus. Er verfasste Wie Gertrud ihre Kinder lehrt, was ihn als Erneuerer der Volksschule bekannt machte. Zu hunderten kamen Gelehrte und Politiker nach Burgdorf und besichtigten die Schulstunden.
Als 1802 nach dem Rückzug der französischen Truppen ein Bürgerkrieg in der Schweiz ausbrach, beorderte Napoleon Abgeordnete nach Paris, um eine neue Verfassung aufzusetzen – Pestalozzi war einer davon. Das Ergebnis war 1803 eine Rückkehr zum Staatenbund. Die neue Berner Regierung veranlasste Pestalozzi 1804, das Schloss Burgsdorf zu räumen. Von 1804 bis 1825 leitete er eine Schule in Schloss Yverdon, die sehr bekannt wurde und dessen Methoden sich insbesondere nach Preußen verbreiteten. Nach der preußischen Niederlage in Jena und Auerstedt 1806 setzte der Staat auf eine von Bürokratie geprägte Modernisierungspolitik. 1825 zog Pestalozzi sich nach Neuhof zurück, wo er 1827 starb.
Antisemitismus und Antiziganismus in Pestalozzis Werk
Die Werke von Pestalozzi entstanden im Zuge der Aufklärung, die sich gegen die ständische Ordnung wandte und eine moralisch-sittliche Erziehung der Gesellschaft anstrebte. In der Spätaufklärung entstand ein neues Bild von jüdischen Personen und Z*. Ihre – oft durch Marginalisierung entstandene – Lebensweise wurde als korrekturbedürftig angesehen und sie sollten sich in die „moderne“ Gesellschaft „einfügen“. Durch die Infragestellung des christlichen Weltbildes wurden viele Vorurteile auf eine weltliche Ebene verschoben und biologisch-rassistisch modifiziert.
Pestalozzi befasste sich in seinem Werk vielfach mit der Frage nach der idealen Gesellschaft und produzierte dabei antijüdische sowie antiziganistische Bilder. Ein Leitmotiv in seinem Werk ist der betrügerische, ausbeuterische und eigennützige Jude. Beispielsweise beschrieb er in seiner 1797 erschienenen Fabelsammlung Figuren zu meinem ABC-Buch oder zu den Anfangsgründen meines Denkens das Dorf Mauschelhofen. Die Fabel erzählt, wie jüdische Personen sich in einem fiktiven Dorf „einnisten“ und das Dorf arm und sich selbst reich machen. Diese Darstellung jüdischer Personen in Verbindung mit Geld und Selbstsucht findet sich u.a. auch in Schulliteratur wie dem Natürlichen Schulmeister (1804) und den Deutschen Sprachübungen (1817) und fand so Eingang in die kindliche Vorstellungswelt. Unklar ist, weshalb die Figur des geldgierigen Juden so häufig Eingang in Pestalozzis Schriften findet, da jüdische Personen in der Schweiz gegen Ende des 18. Jh. nur in den beiden Dörfern Lengnau und Endingen wohnhaft waren.
Auch Z* als stereotype Gruppe sind in Pestalozzis Werk präsent. In der Schrift Lienhard und Gertrud beschrieb er Z* wiederholt als außerhalb der Gesellschaft lebende „Waldmenschen“ mit den Attributen des fehlenden Anstands, der Gewalttätigkeit, Rücksichtslosigkeit, Egoismus und der Unangepasstheit. Diese Darstellung entsprach Pestalozzis Theorien, die er 1797 in der Publikation Meine Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwicklung des Menschengeschlechts veröffentlichte. Hier unterschied er den „Naturzustand“ (rein, unverdorben), den „gesellschaftlichen Zustand“ und den „sittlichen Zustand“, der durch Erziehung erreicht werden könne. Severin Strasky interpretierte die Darstellungen von Z* im Werk von Pestalozzi so, dass der Pädagoge vor dem Rückfall der Menschen in den „verdorbenen Naturzustand“ warnen wolle und das Bild des Z* als Symbol für diese „drohende Verwilderung“ nutzte, womit allerdings nicht explizit Sinti:zze und Rom:nja gemeint seien, sondern vielmehr nicht-sesshafte Menschen im Allgemeinen, sowie Bettler:innen und Verbrecher:innen.
Kontext der Benennungen
Anlässlich des 100-jährigen Geburtstages von Pestalozzi wurde in Berlin-Pankow das Pestalozzistift gegründet, das 1850 auf dem Gelände zwischen Schloßstraße 15 (heute Ossietzkystraße) und der 1872 genannten Pestalozzistraße eröffnet wurde. Die Straße wurde jedoch erst 1906 ausgebaut. Die im selben Jahr erfolgte Benennung des anliegenden Stiftwegs ist in diesem Kontext zu sehen. 1887 wurde zusätzlich eine Straße in Charlottenburg nach Pestalozzi benannt. Die Straßenbenennungen in Berlin-Köpenick, -Mahlsdorf und -Steglitz könnten in Zusammenhang mit dem 100-jährigen Jubiläum der Nachforschungen gesehen werden. Darüber hinaus tragen mehrere Schulen in Berlin Pestalozzis Namen.
Stand der Umbenennung
Dr. Felix von Sassmannshausen verweist in seinem Dossier über Straßen mit antisemitischen Bezügen in Berlin auf Erkenntnisse über frühantisemitische Motive im Werk von Pestalozzi und empfiehlt weitere Forschung und Kontextualisierung.
Unsere Empfehlung
Da nach den Ausführungsvorschriften zu §5 des Berliner Straßengesetzes (BerStrG) Doppel- und Mehrfachnennungen abgebaut werden sollen, empfehlen wir eine Umbenennung von drei der Straßen sowie eine weitere Recherche zur Auswirkung von Pestalozzis Werk auf Preußen, die womöglich eine so umfangreiche Ehrung erklärt.
Literatur
Kuhlemann, Gerhard: Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827), Hohengehren 2002.
Strasky, Severin: Das Sittliche und das Andere. Johann Heinrich Pestalozzis Bild der Juden und „Zigeuner“, Bern/ Stuttgart/ Wien 2006.
Sassmannshausen, Dr. Felix/ Ansprechpartner des Landes Berlin zu Antisemitismus (Hg.): Straßen- und Platznamen mit antisemitischen Bezügen in Berlin. Berlin 2021.
Schurr, Johannes: Zur anthropologischen Problemexposition in Pestalozzis „Nachforschungen“, in: Schurr, Johannes/ Broecken, Karl Heinz/ Brocken, Renate (Hg.): Humanität und Bildung. Festschrift für Clemens Menze zum 60. Geburtstag. Zürich/ Hildesheim/ New York 1988, S. 119-144.