Reuterstraße

Reinickendorf

Die Straße wurden um 1898 nach dem Schriftsteller, Dichter und Publizisten Fritz Reuter (1810–1874) benannt, der in seinen Schriften antijüdische Klischees und frühantisemitische Stereotype verwendete.

Der in Stavenhagen geborene Fritz Reuter kam schon früh in Kontakt mit einer deutschnationalen Ideologie. Während seiner Zeit auf dem Gymnasium, unterrichte ihn Karl Horn (1794–1879), der Mitbegründer der Urburschenschaft in Jena 1815. Auf Drängen seines Vaters studierte Reuter ab 1831 Jura in Rostock und Jena. Hier trat er 1832 in die Burschenschaft der “Germanen” ein, verließ diese aber 1833 wieder als sich die Gruppe radikalisierte.

Burschenschaften und Antisemitismus

Die 1815 gegründete Urburschenschaft gründete sich nach der Idee die studentischen Zusammenschlüsse an den Universitäten abzuschaffen und in einer “Allgemeinen Burschenschaft” zu vereinen. Politische Grundlage war der Wunsch nach einem vereinten Deutschland, die Forderung nach demokratischen Reformen und Patriotismus. Viele der Akteure der Burschenschaftsbewegung wie Friedrich Ludwig Jahn, Ernst Moritz Arndt und Johann Gottlieb Fichte vertraten auch antisemitische Positionen.

Innerhalb der Urburschenschaft kam es allerdings schon kurz nach der Gründung zu internen Konflikten, wodurch sie in die drei Teile Teutonia Jena, Germania Jena und Arminia Jena zerfiel. Hier vertrat die Germania Jena, der Fritz Reuter beitrat, den rechtskonservativen Teil der Studentenschaft. Die antisemitische und nationale Ideologie stellte im Nationalsozialismus auch die Brücke zwischen zahlreichen Burschenschaften und der NSDAP her. Auch heute werden Burschenschaften Verbindungen ins rechtsextreme Spektrum nachgesagt.
Die Burschenschaft Germania, die sich als deutschnational und in der Tradition “abendländischer Werte” sieht, existiert auch heute noch als sog. pflichtschlagende Verbindung. Das bedeutet dass die Mitglieder gegeneinander fechten müssen und hierbei das Risiko einer “Mensur”, also einer Schnittwunde im Gesicht in Kauf nehmen.

Haft und Amnestie

Kurz darauf wurde Reuter im Zuge seines politischen Engagements in den Burschenschaften während der “Demagogenverfolgung” 1833 in Berlin inhaftiert und der Umsturzabsicht bezichtigt. 1837 wurde er zum Tode verurteilt und zugleich zu 30 Jahren Festungshaft begnadigt, die wenig später auf acht Jahre ermäßigt wurde und die er in Berlin, Silberberg, Groß Glogau, Magdeburg, Graudenz und Dömitz absaß. Er wurde 1840 im Rahmen einer Amnestie entlassen.

Karriere in Mecklenburg

Nach der Haft konnte Reuter sein Studium nicht wieder aufnehmen. Nach 1850 fand er schließlich Arbeit als Redakteur und Privatlehrer. Im Zuge des Vormärz 1848 hatte er Verbindungen zu Liberalen Gruppen geschlossen und publizierte feudalkritische Schriften. In den Folgejahren konnte er sich als freier Autor etablieren.

Seit 1859/60 war Reuter zudem Mitglied im Deutschen Nationalverein und vertrat weiterhin ein nationalistisches aber zugleich liberal-demokratisches Weltbild. Er gilt als Mitbegründer der neu-niederdeutschen Dichtung. In seinen Schriften und auch seinem bekanntesten Werk “Ut mine Stromtid” (1862/1864), bedient er jüdische Stereotype. Er karikiert bspw. den orthodoxen “Handelsjuden” sowie die Figur des gebildeten assimilierten Judens. Im Nationalsozialismus galten seine Schriften nach dem Liteeraturwissenschaftlier Hans Otto Horch als nicht antisemitisch genug, weswegen er nicht verehrt wurde. Nach Horch spricht das Reuter vom Antisemitismus frei. Auch die in den Schriften dargestellten jüdischen Personen seien kein Beweis für Reuters antisemitisches Weltbild, da er die ganze mecklenburgische Gesellschaft aufs Korn nehme und eindeutig “jüdisches Verhalten” vom Judentum an sich trenne.
Fritz Reuter starb 1879 hochgeehrt als Schriftsteller in Eisenach. Nach seinem Tod wurde er mit zahlreichen Straßenwidmungen geehrt. Allein in Berlin tragen insgesamt neun Straßen und Plätze Reuters Namen.

Unsere Empfehlung

Wir schließen uns der Empfehlung von Dr. Felix Sassmannshausen an, die dünne Quellenlage berücksichtigend eine tiefergehende Recherche über den literarschen Antisemitismus im Werk von Fritz Reuter einzuleiten. Jedoch widersprechen wir der Annahme von Hans Otto Horch, dass es möglich ist “jüdisches Verhalten” vom Judentum zu trennen. Das negative Hervorheben bestimmter Verhaltensweisen als “jüdisch” ist unserer Ansicht nach antisemitisch. Auch die Darstellung jüdischer Stereotype ist kritisch zu betrachten und kann keinesfalls mit Karikaturen von gojnormativen deutschen Charakteren gleichgesetzt werden. Wir empfehlen eine Untersuchung des literarischen Werks Fritz Reuters unter Berücksichtigung seines politischen Hintergrundes. Hier sollte auch die Frage besprochen werden, ob Reuters literarisches Werk so bedeutend ist, dass es dermaßen präsent im Berliner Stadtraum geehrt wird.

Literatur

  • Horch, Hans Otto: „Judenbilder in der realistischen Erzählliteratur. Jüdische Figuren bei Gustav Freytag, Fritz Reuter, Berthold Auerbach und Wilhelm Raabe“, in: Strauss, Herbert A./ Hoffmann, Christian (Hrsg.): Juden und Judentum in der Literatur. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1985, 140‒171.
  • Sassmannshausen, Dr. Felix/ Ansprechpartner des Landes Berlin zu Antisemitismus (Hg.): Straßen- und Platznamen mit antisemitischen Bezügen in Berlin. Berlin 2021.

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